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Full text of "Aristoteles und die Exoterischen Reden [microform]"

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MASTER 
NEGA  TIVE 

NO.  93-81601-25 


MICROFILMED  1993 
COLUMBIA  UNIVERSITY  LIBRARIES/NEW  YORK 


as  part  of  the 
"Foundations  of  Western  Civilization  Preservation  Project" 


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NATIONAL  ENDOWMENT  FOR  THE  HUMANITIES 


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A  UTHOR: 


FORCHHAMMER,  PETER 
WILHELM 


TITLE: 


ARISTOTELES  UND  DIE 
EXOTERISCHEN... 

PLACE: 

KIEL 

DATE: 

1864 


COLUMBIA  UNIVERSITY  LIBRARIES 
PRESERVATION  DEPARTMENT 

BIBLIOGRAPHIC  MICROFORM  TARGET 


Original  Material  as  Filmed  -  Existing  Bibliographie  Record 


ooArra 

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Forchhammer,  Peter  Wilhelm,  1801-1894. 

Aristoteles  uiul  die  exoterischeii  reden.    An  Ad.  Trendelen- 
bürg  von  P.  W.  Forchhaninier.    Kiel,  K.  Homann,  18C4. 

Ip.  1.,  64  p.    211-, 


Master  Negative  # 


^^1.  Aristoteles.       iTlUe.  n.  TlUe :  Die  exoterischen  reden.  Arlgtotele« 
Mbrary  ..f  Congress  B485.F6  38-18368 

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räciWICAL~MlCRÖrömbAT"Ä 

FILM     SIZE:__3_2:>^^vA_Ä-  REDUCTION    RATIO: /_^Y 

IMAGE  PLACEMENT:    LA  (uATiB    HB 

DATE     FILMED: JlZZh^^Ji-     INITIALS__j5_C; 

nLMEDBY:    RESEARCH  PUBLI^TIONS.  INC  WOODBRIDGE.  CT 


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1100  Wayne  Avenue.  Suite  1100 
Silver  Spring.  Maryland  20910 

301/587-8202 


Centimeter 


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EXOTERISCHEN  REDEN. 


AN  AI).  TKFJDELENBÜRG 


VON 


P;  W.  F  0  ß  C  H  H  A  M  M  E  R. 


KIEL. 

ERNST    HOMAiNN. 
1864, 


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Lieber  Trendelenburg. 


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Auf  dem  Gymnasium  hatten  wir  einen  Lehrer,  der 
sich  in  dem  Gedanken  gefiel,  wir  seien  heute  auf 
demjenigen  Standpunkt  geistiger  Entwickelung  oder 
vielmehr  geistigen  Verfalls,  den  man  in  Beziehung 
auf  das  Alterthum  durch  den  Namen  des  Alexandri- 
nischen  Zeitalters  charakterisirt.  In  aUen  wesentlichen 
Zweigen  der  Wissenschaft  und  Kunst,  und  selbst  in 
seiner  ethischen  Würdigkeit  und  politischen  Befähi- 
gung  habe  Europa  und  namentlich  Deutschland  den 
Höhenpunkt  erreicht.  Grammatik  und  Lexica,  allen- 
falls Mathematik  und  Technik,  das  seien  die  Dinge 
worin  unsere  Zeit  sich  auszeichne.  So  sei  es  aber 
auch  nach  der  Einrichtung  der  Welt  nothwendig, 
und  darum  sei  auch  nichts  daran  zu  ändern. 

Mir  wollte  die  Rede  durchaus  nicht  gefallen. 
Dass  es  so  sei,  vermochte  ich  freilich  nicht  zu  wider- 
legen, allein  dass  es  so  sein  müsse,  dass  nichts 
daran  zu  ändern  sei,  gab  ich  in  meinem  stillen  Sinn 
nicht  zu,  vielmehr  sträubte  ich  mich  dagegen  auf 
das  Entschiedenste.  Kein  Gedanke  hat  mich  seitdem 
so  begleitet,  ich  möchte  sagen  so  verfolgt,  und  ist 
von  mir  so  als  ein  Feind  behandelt,  wie  dieser.    Mein 

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alter  Lehrer  war  längst  aus   dieser  grammatischen 

Zeit  geschieden;   ich   hatte   meine   Studien  auf  der 

Universität  vollendet,    sah  vieler  Menschen   Städte 

•*\ii^: id^t^  &|rjn:Sinn  kennen,    und  immer  wieder 

./.^^in!f9?k'.!^i'4.%i^  an  jene  Behauptung,   oft 

V  4^iJ;^'tÄtk^Mi:$S^,e^^       als  jener  angeführt,  wie  die 

^igt^we/.Krfal^ng  schwerer  zu  verneinen  ist,  als  die 

Öefliite/. /UeliBall  umsummte  mich  das  „Alexandri- 

nische  Zeitalter"  mit  allem  Kleinlichen  und  Unwahren, 

welches  im  Gefolge  des  „Verfalls"  zu  sein  pflegt. 

Wer  nun  das  „quisque  praesumitur  bonus" 
nicht  als  ein  Princip  sich  angeeignet,  sondern  blos 
nach  einer  angebornen  Neigung  ohne  irgend  ein 
eigenes  Verdienst,  und  trotz  widersprechender  Er- 
fahrung immer  wieder,  als  wär's  ein  Fehler,  darin 
zurückfällt,  dem  möchte  es  ähnlich  ergangen  sein, 
wie  mir.  Wenn  auch  Jahr  nach  Jahr  Erfahrung 
lehrte  und  Praxis,  so  wuchs  ich  doch,  wie  ein  Freund 
mir  vorzuwerfen  pflegte,  aus  jener  naiven  Auflussung 
nicht  heraus,  die  nach  seiner  Meinung  nicht  lange 
über  die  Mündigkeit  hinaus  dauern  dürfe. 

So  kam  es,  dass  ich  auf  meinen  W^anderungen, 
wenn  auch  oft  den  Satz  meines  Lehrers  bestätigt 
und  mich  von  meinem  Feind,  der  mich  in  da«  Alexan- 
drinische  Zeitalter  versetzen  wollte,  besiegt  glaubte, 
doch  immer  mit  meinem  Widerstreben  augenblick- 
lich wieder  aufstand  und  von  Neuem  gegen  ihn  an 
ging.  Hätte  ich  nun  eine  Autobiographie  zu  schreiben, 
80  könnte  ich  vieles  erzählen  von  grossen  Männern, 
die  klein  geworden,  und  hochgestellten,  die  niedrig 
waren  War  ich  doch  zugegen  gewesen,  als  ein 
neuer  Staat  gemacht,  und  alte  Staaten  in  neue  ver- 
wandelt wurden.  Je  weniger  mir  einer  bekannt 
war,  je  höher   stehend   in  Würden   und    Amt   als 


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Staatsbürger,  desto  besser  und  weiser  erschien 
mir  der  Mann.     Ich  glaubte   es   so  von  den  alten 
Hellenen  gelernt  zu  haben.     Und  doch,  wie  oft  war 
in  wenigen  Monaten,  ja  in  wenigen  Tagen  Weisheit 
und  Gutsein  dahin.     Also,  dass  „der  gute  Mann  und 
der  gute  Staatsbürger  derselbe  sei"  galt  nicht  einmal 
von  den  Hochgestellten.    Capodistrias  schrieb  einmal 
an  Herrn  von  Stein:   „ich  fürchte,  wir  Diplomaten 
sind  nicht  gute  Menschen."    Was  daran  Wahres  sei, 
bleibe  Andern   anheim  gegeben.     Bei  den  Griechen 
gehörte   zum  gut  sein  auch  kundig  und  weise  sein; 
ohne  die  Tugend   des  Verstandes  war    die    übrige 
Tugend  keine.    Aristoteles  würde  sich  daher  anders 
ausdrücken.    Er  würde  sagen,  nicht  ich  fürchte,  son- 
dern ich  sehe,    dass  die   Staatsmänner,    welche  im 
Kleinen   und   Grossen    die    Staaten    regieren,    diese 
Archonten  der  menschlichen  Gesellschaft,  welche  im 
Besitz  des  regierenden  Logos  zu  den  ethischen  Tu- 
genden  der   Regierten   sein   sollten,   sehr   oft  recht 
unkundig   und   unweise  sind.     Ueber  jeden  Act  der 
Regierenden  findet  sich  in  seinem  Werk  ein  Urtheil, 
welches   nur  zu  oft  eine  Verurtheilung  ist.     Wenn 
das  Wahre    und    Rechte   sagen  gleichbedeutend   ist 
mit  Hass  und  Verachtung  gegen  die  Regierung  er- 
regen, dann  schwebte  dieser  praktische  Lehrer  der 
erhabensten  Ansichten y  wenn   er  heute  lebte,  fort- 
während zwischen  Anklage  und  Verwarnung.    Denn 
er   hat  weder  wie   Schilkr  seinen  besten  Staat  auf 
„wenige  auserlesene  Cirkel"  beschränkt,   noch  wie 
Fichte   ihn  auf  „Myriaden  Jahre"  hinausgeschoben. 
Während  ich  so  scheinbar  den  Pessimisten  das 
Wort   redete,    trat    ein    solcher    vom    schlimmsten 
Schlage  zu  mir  in's  Zimmer,  einer  von  jenen  Heulern 
mit  scharfem  Verstand  und  unverkennbarer  Blindheit. 

1* 


Er  hatte  aus  Las  au  Ix  interessanter  Schrift  über 
die  Geologie  der  Griechen  und  Römer  folgende  Stelle 
aus  dem  Cyprianus  aufgegabelt,  welche  er  nun,  bei 
allen  seinen  Freunden  umherrennend,  mit  grosser 
Selbstbefriedigung  ihnen  vorsetzte:  „Du  sollst  vor 
allem  wissen,  sagt  Cyprianus,  dass  die  Welt  gealtert 
ist,  und  nicht  mehr  die  Kräfte  besitzt  wie  vormals. 
Die  Welt  selbst  bezeugt  in  so  vielen  Zeichen  der 
Hinfälligkeit  ihren  nahen  Untergang.  Im  Winter 
fehlt  es  an  Regen,  im  Sommer  an  der  nöthigen 
Wärme;  selbst  die  Berge  sind  erschöpft,  man  gräbt 
weniger  Marmor,  weniger  Gold  und  Silber,  die 
Metalladern  sind  wie  versiegt.  Alles  verschlimmert 
sich,  Ackerbau,  Schiffahrt,  die  Redlichkeit  der  Ge- 
richte, Freundschaft,  Wissenschaft,  Kunst,  Sitten. 
Alles  was  seinem  Ende  nahe  ist,  nimmt  ja  ab.  Das 
ist  ein  göttliches  Naturgesetz,  dass  alles,  was  ent- 
standen ist,  wieder  vergeht,  dass  starke  Dinge 
schwach,  grosse  klein  werden  und  endlich  ganz  auf- 
hören." 

Dass  Cyprianus  schon  im  Jahr  258  den  Mär- 
tyrertod erlitten,  dass  von  dem  Meisten,  worüber  er 
klagt,  heute  das  Gegentheil  wahr  ist,  bemerkte  der 
Gute  gar  nicht.  Es  hinderte  ihn  daher  nichts  auf 
Grund  jenes  „Orakels"  fortzufahren:  Mit  der  Deut- 
schen, mit  der  Europäischen  Bildung  sei  es  jetzt  am 
Ende;  wenn  auch  die  Welt  nicht  untergehe,  so  sei 
doch  das  Vorhandene  alt  und  lebensunfähig,  es  sei 
kein  Glaube  mehr  in  der  Welt  ausser  jenem  von 
den  Regierenden  für  brauchbar  erkannten  und  von 
gewissen  Kreisen  „protegirten" ;  es  gebe  keine  Moral 
mehr,  am  wenigsten  im  Öffentlichen  Leben,  Rohheit 
und  üngeschliffenheit  gelte  für  Charakter,  wirkliche 
Charaktere  seien  verdächtig,  nicht  einmal  die  Pflicht 


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der  Dankbarkeit  vermöge  vor  dem  Reiz  des  Ver- 
läumdens  zu  bewahren,  und  die  sophistische  Nichts- 
würdigkeit, mit  beliebiger  Ausdeutung  des  formalen 
Rechts  das  grösste  Unrecht,  Tr^i^  ro  litov  (rvfxcpe^ov^ 
zu  rechtfertigen,  wachse  mehr  und  mehr  zu  einer 
abschreckenden  Virtuosität.  Es  könne  auch  nicht 
anders  sein.  Wenn  ein  Volk  culminirt  habe,  gehe 
es  moralisch  und  intellectuell  zu  Ende.  Philosophie 
und  Poesie,  Wissenschaft  und  Kunst  hätten  in  Deutsch- 
land ihre  Höhe  erreicht.  Was  denn  nach  Schiller 
und  Göthe,  nach  Kant  und  Hegel  noch  zu  erwarten 
sei?  In  staatlicher  Beziehung  sei  vollends  alles  aus. 
Wie  denn  ein  vernünftiger  Mensch  glauben  werde, 
dass  aus  dem  zerfahrenen  Deutschland  noch  eine 
Einheit  werden  könne?  Zerspalten  durch  Katholi- 
cismus  und  Protestantismus,  durch  Zollverein  und 
Handelsfreiheit,  durch  Preussenthum ,  Bayernthura, 
Bückeburgthum ,  durch  österreichische  Sympathien 
und  Anthipathien  büsse  es  neben  der  Einheit  auch 
mehr  und  mehr  das  Bischen  Freiheit  ein,  die  dem 
Bestehen  der  trennenden  Elemente  gefährlich  und 
daher  nicht  zu  dulden  sei. 

So  jener.  Ist  es  denn  wahr,  dass  Europa  oder 
dass  Deutschland  in  irgend  einem  Wesentlichen  seiner 
Bildung  die  Höhe  erreicht  habe,  von  der  es  nur  ein 
Herabsteigen  gebe?  Diese  Culminationstheorie  in 
ihrer  Anwendung  auf  Deutschland  beruht  auf  Un- 
wissenheit und  Kleinmuth,  zum  Theil  sogar  auf  einem 
sehr  absurden  Dünkel.  Wir  meinen  nur  zu  leicht 
in  allem  Grossen,  das  ein  Volk  leisten  kann,  es  schon 
recht  weit  gebracht  zu  haben.  Und  wenn  wir  uns 
nun  mit  andern  Völkern,  solchen,  die  wir  kennen, 
wenn  wir  uns  mit  den  Griechen  vergleichen,  sind 
wir  da  berechtigt  zu  sagen:  wie  jene  in  dem,  wozu 


sie  den  Keim  in  sich  trugen,  zu  einer  vollständigen 
Entwickelung  gelangt  sind,  so  seien  es  auch  die 
Deutschen?  Jetzt  sei  daher  auch  für  sie  die  Zeit 
da,  sich  mit  materiellem  Fortschritt  zu  genügen,  im 
üebrigen  sich  auf  das  Hinabsteigen  zu  rüsten  ? 

Ganz  zu  Grunde  gegangen  sind  unter  den  uns 
bekannten  Culturvölkem  wohl  nur  wenige   und   an 
Ausdehnung  geringe;  in  andere  grössere,  mächtigere, 
geistig  höhere  übergegangen   sind  viele.     Ein  Bei- 
spiel einer  durch  Verjüngung  neu  beginnenden  Ent- 
wickelung desselben  Volks   sehen  wir  in  ihren  An- 
iUngen  in  dem  heutigen  Griechenland.    Eine  solche 
Verjüngung  wird  hauptsächlich  auf  zwei  Wegen  ge- 
schehen, entweder  durch  Einwanderung  und  Ver- 
mischung mit  einem  andern  Stamm,  oder  durch  den 
Einfluss    einer   neuen   mit   den   Geistern    sich   ver- 
mischenden  Cultur.     Offenbar  ist  die   letztere  Art 
der  Verjüngung  die  höhere,  die   des  menschlichen 
Geistes   würdigere,    erfreuliche.    Diese   Verjüngung 
hat  die  Deutsche  Nation  zweimal   erfahren.     Zuerst 
durch  die  Einführung  des  Christenthums,  dann  durch 
die   Einführung   des    Griechischen    und   Römischen 
Alterthums,  in  deren  Gefolge  die  Reformation  auf- 
trat und  mächtig  wurde.   Diese  Verjüngungen  haben 
so  statt  gefunden,  dass  keine  die  andere  aus- 
schliesst,    vielmehr   eine    die    andere    ge- 
fördert   hat,    und    dass    beide    noch    fort- 
während  in    ununterbrochener  Thätigkeit 
fortwirken.     Christenthum   und  Alterthum 
sind  die  beiden  „Ursachen   der  Bewegung"  unserer 
ganzen   Bildung,    durch    die    sich    das    angeborne 
Deutsche  Wesen   zu   dem  entwickelt   hat,   was    es 
jetzt  ist.    So  wenig  beide  bisher  ihre  Kraft  in  der 
Vervollkommnung  des  Volks   erschöpft   haben     so 


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wenig  sind  sie  die  einzigen  Mittel  der  Verjüngung 
geblieben.  Vielmehr  haben  sie  vereint  uns  auf  den 
Standpunkt  gestellt,  auf  dem  wir  gegenwärtig  uns 
ein  neues  Mittel  der  Verjüngung  schaffen  und  als 
solches  uns  aneignen,  die  Kunde  der  Natur 
und  ihrer  Kräfte,  der  Welt  mit  Einschluss  des 
Menschen. 

Hat  denn  nun  das  Deutsche   Volk   durch  das 
Christenthum,  das  es  noch  lange  nicht  in  seiner 
vollen  Wahrheit  auch   nur   annähernd  in  sich  ver- 
wirklicht hat;  durch  das  Alterthum,  das  es  noch 
lange  nicht   als   sein    eigenes  geistiges  Jugendthum 
erkannt,  dessen  geistigen  Inhalt  es  noch  lange  nicht 
als   die  Weisheit   einer  grossen  umfangreichen  Er- 
fahrung zu  der  seinigen  gemacht;  durch  die  Natur- 
wissenschaft, deren  praktische  Macht  trotz  aller 
bisherigen  Anwendung  doch    erst  im  Anfang  einer 
nicht  zu  berechnenden  Entwickelung  zu  sein  scheint, 
um    die  Befreiung   des   Menschen    von    „banauser** 
Arbeit,    die  Befreiung   von   drängender   Sorge    um 
„äussere    Güter,"    die    Befreiung    von    „Geist    und 
Tugend  behindernder"   bloss   körperlicher  Anstren- 
gung und  Mühsal  zu  ermöglichen,  und  zugleich  jene 
Aristotelische    Freundschaft,    die    Bedingung    aller 
Vereinigung,    auch     der    staatlichen,    trotz    ganz 
anderer  Zwecke  der  Chrematisten  und  durch  die- 
selben zu  fordern,  —  hat  das  Deutsche  Volk  durch 
diese    mächtigen  Elemente    der    Verjüngung  schon 
die  Höhe  erreicht,   welche  wns  im  Verhältniss  zum 
Glauben,  Wissen  und  Können,  weit  über  die  Griechen 
erheben   müsste,    und   nun    zu    d>er  eitelen  Voraus- 
sicht des  Niedersteigens  und  allmäligen  üntergehens 
hinabstimmte? 


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Wir  sagen  Nein!  Und  doch,  wer  kann  die  be- 
trübenden Symptome  wegläugnen,  wie  das  Christen- 
thum  vielen  nur  eine  ntttzliche  Einrichtung  sei  ent- 
blösst  von  dem  Glauben  an  ein  Künftiges;  wie 
das  Alterthum  vielen  nur  eine  bildende  Unterhal- 
tung für  die  „Feinen"  sei,  ein  Vergangenes  ohne 
Werth  filr  die  Gegenwart,  ein  unpraktisches  Wissen; 
wie  die  Naturwissenschaft  oft  nur  von  dem  ordi- 
närsten Realismus  in  Dienst  genommen  wird,  die- 
nend einer  Gegenwart  von  heute  auf  morgen, 
ja  sie  selber  verzichtend  auf  alles  ausser  ihr  selbst, 
den  Geist  wegwerfend  wie  ein  Bagatel  und  die 
Wissenschaft  vom  Geist  betrachtend  als  eine  menschen- 
freundliche Thorheit  für  Knaben  und  gutmüthige 
Alte. 

So  erscheinen  die  Mahnungen,  dass  wir  hinab- 
steigen,  immer  wieder  sich  zu  erneuern.     Und  wie 
sehr    auch    die  Ansicht  von    dem    Er    in   der  Welt 
gegen  die  Ansicht  von  dem  Es  ankämpft,  wie  klar 
uns  auch  bewiesen  ist  —  um  ein  Beispiel  anzuführen 
—  dass  nicht  das  Verhängniss,  die  Verhältnisse,  das 
Gesetz   der  Schwere,  des  Wechsels  oder  wie   man 
es   nennen    mag,    die   Macht    des    staatsfeindlichen 
Despoten   Europa's   brach,    sondern   Er,    zunächst 
der  eine  Mann  und  mit  ihm   alle   die  Männer,   die 
«ich   ihm   anschlössen;    dennoch    tritt   immer  heute 
mehr,  morgen  vielleicht  weniger  die  Ansicht  hervor, 
es  lasse  sich  mit  dem  besten  Streben  für  den  besten 
Zweck,  mit  der  in  uns  liegenden  Ursache  des  Ziels 
nicht  ankämpfen   gegen  die  ausser  uns  liegende 
Ursache  der  Bewegung,  die  rückwärts  liegt  in  den 
Dingen,    wie    sie    einmal    geworden.     Der    einzelne 
Mensch    möge   nach  Zwecken    handeln,    d.    h.    mit 
Freiheit,  weil  er  will,  die  Nationen  entbehren  dieser 


Kraft,  in  ihnen  sei,  was  wir  Tugend  und  freies 
Wollen  nennen,  natürlicher  Zustand  und  dadurch 
bedingte  Nothwendigkeit. 

Mit  dem  Vertrauen  zu  dem,  der  alles  tiach 
Zwecken  ordnet,  weil  er  will,  nicht  nach  physischen 
Ursachen,  weil  er  muss,  und  überzeugt,  dass  auch 
in  einem  Volk  das  rechte  Ziel  die  Ursache  der 
Bewegung  werden  kann,  lernte  ich  früh  als  Dein 
Contubernalis  jenen  trefflichsten  Hellenen  kennen, 
der  mir  seit  dem  immer  ein  treuer  Begleiter  und 
treuer  Freund  gewesen,  und,  wie  Du  aus  diesem 
siehst,  ein  treuer  Führer.  Es  macht  mir  Freude, 
Dir  heute  zu  senden,  was  ich  für  den  Augenblick 
über  ihn  zu  sagen  habe. 

Dasselbe  betrifft  eine  Frage,  die  an  sich  von 
keiner  grossen  Wichtigkeit  zu  sein  scheint.  Denn 
ob  jene  „exoterischen  Reden"  wirkliche  Gespräche 
gebildeter  Griechen,  oder  erdichtete  von  Aristoteles 
in  besonderen  Schriften  dargestellte  waren,  scheint 
kaum  eine  Bedeutung  zu  haben,  in  so  fern  diese 
Schriften  verloren  gegangen  und  uns  unbekannt 
sind.  Doch  hat  die  Erkenntniss  des  Wahren  immer 
ihren  Werth:  und  die  Untersuchung  über  die  „exo- 
terischen Reden"  führt  nothwendig  auf  Fragen, 
welche,  wenn  auch  einer  weiteren  Ausführung  be- 
dürftig, doh  auch  kurz  zu  berühren  der  Mühe 
nicht  unwerth  sein  möchte.  Denn  es  handelt  sich 
um  nichts  geringeres,  als  zu  entscheiden,  ob  und 
wie  weit  auch  ausserhalb  der  Akademie  der  Stoa 
und  des  Lykeions  die  Seele,  die  Kunst  und 
das  Handeln,  die  Weise  des  Regierens, 
das  beste  Leben  und  seine  Güter,  die  Zeit 
und  die  Ideen  Gegenstände  der  Unterhaltung  unter 
den  Griechen   und    namentlich   unter  den  Athener^i 


10 

gewesen  sind.  Diese  Gegenstände  haben  alle  ihre 
praktische  Bedeutung  und  konnten  eben  so  wenig 
im  Leben  als  in  der  Lehre  unbeachtet  bleiben ,  am 
wenigsten  unter  einem  durch  Wissenschaft,  Kunst 
wnd  Politik  so  gebildeten  Volk. 

Aristoteles  stand  am  Ende  der  Blüthe  Griechen» 
lands.    Seine  praktische  Philosophie  war  entstanden 
auf  Grund  dessen,  was  er  selbst  erlebt  und  erfahren 
hatte.    Sie  war  das  Erzeugniss  einer  früheren  Praxis- 
ist  aber  selbst  bisher  nie  praktisch  geworden,  weder 
durch  Griechen   und  Römer   noch  durch   die  Scho- 
lastik  der  Bettelmönche.     Und   doch   sagt  er  selbst, 
er  schreibe   sie  nicht  um  des  Wissens  willen,   son- 
dern  damit   die  Menschen  gut  werden.     Frei- 
lich, trotz  des  Lobes,  welches  der  Ethik  und  Politik 
des  Aristoteles  gespendet  wird,  wenn  heute  jemand 
dieselben    empfehlen   wollte,    damit    die    Menschen 
gut   und   weise  werden,    würde   mancher    das  wohl 
sonderbar    und    überflüssig  finden.      Dennoch    bin 
ii'h  der  Ueberzeugung,  dass,  wenn  erst  die  wissen- 
schaftliche Arbeit   der  Neubelebung  der  erhabenen 
Ansichten  und  Lehren  des  grossen  Griechen  gethan 
ist,  die  praktische  Wirkung  in  einem  hohen  Grade 
eintreten  wird  und  in   grossem  Umfang.     Es  giebt 
keine   praktische  Weisheit,    die    dem   gewöhnlichen 
Wissen    und  Begreifen  der  Menschen  so  zugänglich 
gemacht   werden    kann,    wie    diese.     Du    erinnerst 
Dich,  dass  mein  Aristotelisches  Demokratenbüchlein 
von  1848    dazu    einen   Versuch    machte.     Das  Ziel 
der  Lehre   des  Aristoteles    ist  die  Erreichung    des 
höchsten    menschlichen   Ziels,   die   auf  der    einigen 
ethischen    und     dianoätischen    Tugend     beruhende 
Gltckseligkeit  durch  das  an  sich  Gute  und  um  des 
^  sich  Guten  willen,  unbc^kümmert  um  die  Freude 


r. 


11 

und  den  Genuss,  welche  nur  aber  auch  sicher  „in 
ihrem  Gefolge"  sind.     Die  Eudämonie,  im  echt- 
aristotelischen Sinne  gefasst,  verdient  nicht  von  der 
christlichen  Ethik  verschmäht  zu   werden.     Möchte 
er   doch   selber  sie    als  ein  Geschenk  der  Gottheit 
(tcctrec  Ttvoc  Beluv  fjLoi^ocv)  ansehen,  mehr  denn  irgend 
eine  andere  Gabe.     Er  fügt    aber    hinzu,    wie    sie 
erreicht  wird;    denn    von  selbst  kommt   sie   nicht. 
„So  viel  ist  klar  —  so    lauten    die  schönen  Worte 
im  ersten  Buch  der  Ethik  —  dass,  wenn  die  Glück- 
seligkeit auch   nicht  unmittelbar  von  Gott  gesandt, 
sondern  durch  Ueben    und  Lernen  gewonnen  wird, 
sie  etwas  wahrhaft  Göttliches  ist.      Sie    kann  aber 
auch  ein  allen  Gemeinschaftliches  werden;  denn  es  ist 
möglich,    dass  sie  durch  Erziehung  und  Unter- 
richt   allen    zu  Theil   wird."     Das   ist    der  wenig 
erkannte  Kern   seiner  Ethik  und  Politik  und  seines 
besten  Staats,    dass  derselbe  sich  selber  schaflft, 
indem   er  den  Unterschied  und  den  Wider- 
spruch  zwischen   dem    guten    Staatsbürger 
und    dem    guten   Mann     aufhebt   —    durch 
Erziehung  und  Unterricht.    Der  Cultusminister 
in    unseren    Staaten,    wenn    er  neben   der  Einsicht 
auch  Muth  hat,  ist  der  mächtigste  Mann  der  Zukunft, 
und  der  glücklichste  wie  der  verantwortlichste  Ver- 
mittler jener  göttlichen  Gabe. 

Dein 

P.  W.  Forchhammer. 

Kiel  im  Sept.  1863. 


Die  üiitersiichurigeii    über   die   bei    Aristoteles 
öfter  erwähnten  Xoyoi  e^coreftKol  gehen  meistens  von 
den  Ansichten  aus,  welche  sich  bei  den  Commenta- 
toren  oder  anderen  nach-aristotelischen  Sehrifstellern 
über  dieselben  ünden,  und  suchen  z.  Th.  auf  einem 
sehr  weiten  Umwege  ihr  Ziel  zu  erreichen.    Indessen 
kann   es   niemandem ,  der  sich    mit  dem  Aristoteles 
beschäftigt,  entgangen  sein ,  dass  sich  aus  den  Spä- 
teren   sehr   selten   etwas   für   das   Verständniss    des 
Aristoteles  gewinnen  lässt,  was  nicht  besser  aus  den 
uns  erhaltenen  Schriften  des  Philosophen  sell)8t  ge- 
schöpft  wird.     Es  schien  sich  uns  daher  auch  rück- 
sichtlich  der  erwähnten   Frage    stets  zu  empfehlen, 
vor    der    Hand    alle   Umwege    zu  vermeiden,    und, 
indem   wir  grade  auf  das  Ziel  losgehen,   beim  Ari- 
stoteles  selbst  anzufangen.     Es  sind   nicht  weniger 
als   acht    Stellen    oder,    mit   vorläufiger   Umgehung 
zweier  in   den   Endemien,   wenigstens  sechs,  deren 
Aristotelischer    Ursprung    nicht   bezweifelt  wird,    in 
denen  f^ajrsfmol  hiyoi  erwähnt  werden.    Wir  wollen 
sie    alle    vollständig    dem  Leser    vor   Augen    legen, 
und  demnächst  die  einzelnen  näher  betracliten.    Wir 
befolgen  namentlich  rücksichtlich  der  Stellen  aus  der 
Etkik  und  Politik  die  muthmassliche  chronologische 
(Ordnung,  in  der  sie  von  Aristoteles  geschrieben  sind. 


13 

1)  Nikom.  Ethik     1,  13. 

^flTt'ov  Oi  TouTa)v  Xoc^iv  Koc)  e<p'  oa-ov  hotvZs  e%f/  tt^os 
rd  ^ffTovfxevoc'  ro  yocf  eVl  7rhs7ov  i^ocK^tßovv  i^yo^ihre^ov 
hcos  lar)  roov  Tr^oKstfxevoov.  heyercct  ie  ire^)  uvtyis 
koc)  iv  ro7ff  i^oore^iKol^  Koyois  d^Kovvrcos  llvtoc 
K«J  x^viariov  uvrols'  olov  ro  /Jih  ähoyov  ocvrris 
eivoci^  ro  de  Xoyov  e%ov. 

2)  Nikom.  Ethik  6,  4. 

Toü  öi  hSsxoiJLhov  äKKa}s  e%f/v  eVr/  rt  koc)  TFotfjTov 
ym)  TTfaxTov,  Isrs^ov  S'  kr)  Troiricns  koc)  Tr^ä^ts- 
Trtarevofxsv  is  iseq)  ocvrZv  koc)  rols  ll^oars^iKols 
hoyotff, 

3)  Politik  3,  6. 

*AAA«  fXYJv  koc)  r?i-  «^%>Jf  touV  KeyofJLnovs  r^o- 
Ttovs  ^ocitov  AfAflv*  koc)  yoc^  Iv  rolff  e^oor8^iKo7^ 
Koyois  ^to^i^ofxedoc  Tts^)  ocvrZv  iroKKocKis, 

4)  Politik  7,  1. 

^oixlaocvrus  ouv  IkuvZs  ttoKKoc  Xkystrdoci  koc) 
roov  iv  rols  i^oars^iKols  Koyois  Tfeq)  rY\s  dqi(rrf\s 
ia)ns  koc)  vZv  x^vjarhv  ocvrols.  oos  oiKf]bZs  yoc^ 
TT^os  ye  fxluv  Stocl^eaiv  ovie)s  cc/xCptaßyirriaetev  uv  oos  ov 
r^tSv  ova-Sv  fxe^lioovj  rSv  re  sKros  koc)  roov  Iv 
tJ  (Toofxxn  koc)  rSv  Iv  r^  ^^ü%?,  TFocvrx  rocZroc 
usTflt^%f/v  rols  fjLocKoc^lois  <51f7. 

5)  Endemische  Ethik  2,  1. 

Ueivroc  <5>i  rocyocdoc  tj  hros  rj  Iv  \J/ü%Jf,  koc)  rovroov 
oclqeroore^oc  rd  Iv  rj  \|/li%J,  Kocödits^  Stoci^ovfxeÖoc 
koc)  Iv  rols  i^oore^tKols  Koyois* 

6)  Physik  4,  10. 

'E%oV«^ov  ie  roov  el^yjfjLevoov  i(rr)v  sTFeXÖslv  Tfep) 
X^ovov*  TT^atrov  de  kocKSs  f%F/  Stoc7rofilj(roct  ireq) 
ocvroZ  koc)  otd  roov  e^oorefiKav  Äoyav,   TTorefov 


1. 


V 

i 


14 

tZv    ovroDv    l(Tr)v    ti    rSv    /jiti  ovroov^  slrot   rls    i| 
(fhKTiS  ccvroZ- 

7)  Metaphysik  13,  1. 

'^oKiTfreov  tt^Stov  fAh  TTffl  rSv  fjLot,Bv\iJLOCtmZv 
fxfioefjiiccv  TT^osTtdivrots  (pvcrtv  oiXKvtv  uvrols^  oJov  Tfore^ov 
lieoti  rvyx(iyov(rt  ovcrect  tj  ou,  KCti  irirs^ov  dqxoCi  k») 
ovtrteti  rSv  hvrm  f\  ou,  aAA*  ds  irtq)  fjtccörifjiocrtKSv  jjlcvov 
err  sla)v  ehe  fAV\  f*Vi,  koc)  ei  elat,  TfSs  elslv.  sTretrec 
fAsri  rctZret  %a>q)s  Tfe^]  rZv  iSeSv  etvrocv  otTtXSs 
Kcc)  otroP  vofjiov  xec^tv'  reö^vAtjroct  ydf  rcc 
TS oKhoi  %ot)  vTTo  rSv  i^(»reftKSv  ^^oycov* 

8)  Eudemische  Ethik  1,  8. 

El  de  öe7  crvvroiJLoos  elTtsiv  Trgf)  «Jt«v,  Afyo/wfv,  ort 
tf^Stov  iih  ro  etvoct  lisecv  fjiff  fxovov  dyctdov,  ochÄcc  k») 
aKKov  orovovv  Äsysroci  hoytKooff  koI  x.evZs'  s7re<TK€7rrcct 
0€  TtoKKols  Tgsq)  otvrov  r^oTtois  x«!  1  v  rols  f^«- 
re^iKols  Koyots  %»\  h  rols  Kurec  (ptKo(ro<plccv. 

Betrachten  wir  nun  die  äussere  Form  dieser 
Stellen,  so  bemerken  wir  zuerst,  dass  zu  dem  Wort 
s^oüTe^tKot  überall  das  Wort  /^oyos  hinzugefügt  ist, 
nirgends  steht  h  rols  i^oore^iKols  allein,  und  nirgends 
ist  statt  Aoyo/i"  ein  anderes  Wort  gewählt  wie  avy- 
y^oifjtfjLoco't  oder  iiuxiyois*  Zweitens  steht  in  allen 
Stellen  das  Verbum  im  Präsens  Ksysrot^^  heyecröott, 
oto§i^of46Öo6f  Sioct^ovfjteöocy  TFtarevofjisv^  oder  statt  dessen 
ein  Perfectum  mit  Präsens-Bedeutung:  rsB^vXf^rui^ 
fTreaneTTroct'  Ferner  steht  vor  dem  fraglichen  Aus- 
druck in  sieben  Stellen  das  Wörtchen  ku)  in  dem 
Sinn  von  auch,  in  der  achten  in  einer  verwandten 
Bedeutung.  Diesem  auch  entspricht  in  den  meisten 
Stellen  die  Bemerkung,  dass  öfter  oder  für  den 
gegenwärtigen  Zweck  genügend  in  jenen  i^arre^tKolg 
hoyois  von  dem  zu  besprechenden  Gegenstande  die 


15 


Rede  sei:  <iqy,oivra>s  inx,  TroXKaKis,  IkuvZs  ttoKK»^ 
Tiößv^rcci  rcc  isoKKoi^  sTrhyteirroci  tsoKKoIs  r^oTrotf-  Und 
weil  in  dem  Wort  i^oore^iKis:  theils  angedeutet  ist, 
dass  diese  /^iyot  andere  sind,  als  die  der  Schrift, 
worin  sie  erwähnt  werden,  theils  dass  sie  minder 
streng  philosophisch  sind,  so  ist  meistens  ein 
Wort  hinzugefügt,  um  ihre  Anwendung  zu  recht* 
fertigen  und  sie  auch  in  der  vorliegenden  philo- 
sophischen  Untersuchung  für  brauchbar  zu  erklären : 
X^f\irreov  ocvrols  —  Trisre^ofAev  {ocvrols)  — 
idiiov    iis/ielV    K»)    yu^  —  koc]    vvv    XfVtrrhv 

Koc)  ^i»  t£v  e^atre^iKSv  Koytüv  —  utsKSs  kcc] 
oaov  vofAov  %af;v-  re^^vhtfrcci  yoc^  —  ffwrofjtoog 
sIttsIv* 

Wer  nun  die  i]^a>rs^tKovs  Koyovs  allein   aus  dem 
Aristoteles  kennt,  nichts  von  allem  dem  weiss,  was 
man  aus  diesem  Ausdruck  heraus  erklärt  hat,  wohl 
aber    aus    den    angeführten    Stellen    ersieht,   dass 
unter  diesen  „äusserlichen  Reden"  solche  verstanden 
werden,  welche  der  philosophischen  Schrift,  in  der 
sie  erwähnt  werden,  als  minder  bedeutend  entgegen- 
gesetzt, jedoch   zugleich   als  für  sie  brauchbar  an- 
geführt  sind;    wer   femer  aus  dem   d^Kovvroos  htoc 
(Nie.  Eth.  1,  IS),  aus  dem  TrtcrrevofAsv  (Nie.  Eth.  6,  4) 
aus  dem  ^ccLy  iteKeiv,  kcc)  yd^  (Pol.  3,  6)  aus  dem 
Tsd^vhffTcci  nothwendig   auf  die  Vorstellung  geleitet 
wird,    dass    diese  Aoyo/    nicht  des   Aristoteles 
sind,  sondern  solche  Reden,   an  denen  Nicht-Philo- 
sophen   theilnehmen,    und    zwar   fortwährend    theil- 
nehmen  im  Gegensatz  solcher  AöVo/,  die    fertig   in 
Schriften   niedergelegt   sind   (^i^r«/,    Sioo^t^rcci   Sc.); 
der  kann  unmöglich  anders  denken,  als  dass  jene 
aft   vorkommenden,   auch    für    die    philosophische 


16 


17 


Erörterung  brauchbaren  Ansichten  keine  andere 
sind,  als  die  in  äusserlichen  Unterredungen,  in  der 
gewöhnlichen  Unterhaltung  der  Gebildeten  ausser- 
halb der  Schule  vorgebrachten.  Ein  solcher  Leser 
wird  also  der  Erklärung  von  Zell  zur  Nikom. 
Ethik  3,  6  beistimmen,  mit  der  M advig  zu  Cic.  de 
finib.  Exe.  VII.  und  Tor  strick  zu  Aristoteles  de 
anima  S.  123  einverstanden  sind,  welche  aber  unter 
anderen  gegen  diese  von  Bernays  in  seiner 
neuesten  Schrift  „die  Dialoge  des  Aristoteles  1863" 
bekämpft  wird.  (Vgl.  auch  Thomas  de  Aristotelis 
e^oDTs^iKol^  Koyois  1860.) 

Bei  der  mit  Gelehrsamkeit  und  grosser  Aus- 
führlichkeit von  Bernays  versuchten  Widerlegung 
dieser  Erklärung  wird  es  unabweislich ,  dieselbe 
durch  genauere  Untersuchung  jeder  einzelnen  Stelle 
zu  schützen.  Dies  soll  im  Folgenden  geschehen. 
Es  wird  zweckmässig  sein,  zunächst  die  vier  Stellen 
der  Nikom.  Ethik  und  der  Politik  durchzugehen, 
theils  weil  diese  beiden  Schriften  auch  nach  der 
Ansicht  des  Aristoteles  im  Grunde  Ein  Werk  bilden, 
theils  weil  in  allen  vier  Stellen,  bei  der  grossen 
Verschiedenheit  der  Fragen,  welche  als  Gegenstände 
der  ll^Qors^mZy  Xoym  genannt  werden,  doch  die 
grösste  Verwandtschaft  der  Fassung  des  Ausdrucks 
obwaltet.  Eine  Hauptfrage  wird  bei  allen  an- 
geführten Stellen  die  sein,  ob  jene  Gegenstände  der 
l^ööTf^/xööv  \oyoi)v  mit  Recht  als  Gegenstände  der 
ausserphilosophischenUnterhaltungjener 
Zeit  betrachtet  werden  können,  und  ob  es  mit  der 
Art  der  Aristotelischen  Untersuchungen 
vereinbar  ist,  dass  der  Philosoph  sie  als  solche  für 
seine  wissenschaftliche  Lehre  benutzte. 


i 


Um  von  dem  Letzteren  auszugehen,  wollen 
wir  an  die  Methode,  welche  Aristoteles  in  seinen 
Untersuchungen  zu  befolgen  pflegt,  erinnern,  wiewol 
es  kaum  nöthig  sein  sollte.  Wir  können  uns  dabei 
gegen  Bernays  der  eigenen  Worte  desselben  bedienen. 
Er  schreibt  S.  77.  „Aristoteles  beginnt  keine  For- 
schung, ohne  vorher  die  in  Frage  kommenden 
Wörter  nach  ihren  verschiedenen  Bedeutungen  zu 
zu  sondern  und  dadurch  zugleich  die  Begriffe  in 
ihre  Bestandtheile  zu  zerlegen."  Diese  verschiedenen 
Bedeutungen  der  Wörter  wo  anders  sind  dieselben 
zu  suchen,  und  wo  anders  sucht  er  sie,  als  in  der 
gewöhnlichen  Sprache  und  der  gewöhnlichen  Unter- 
haltung der  Menschen?  Diese  Wörter  sind  ja  eben 
nur  der  Ausdruck  der  Ansichten  und  Meinungen 
Qo^oci)  der  Zeitgenossen.  Und  wenn  auch  Aristoteles 
die  Bedeutung  der  Wörter  für  seine  Lehre  feststellt, 
und  zuweilen  ein  neues  Wort  bildet  'oder  ein  wenig 
gebrauchtes  mit  einer  bestimmten  Bedeutung  ver- 
sieht, so  besteht  doch  sein  Verfahren  keineswegs 
bloss  darin  das  er  definirt,  die  Begriffe  in  ihre 
Bestandtheile  auflöst,  sondern  hauptsächlich  darin, 
dass  er  von  dem  Bekannten,  d.  h.  von  dem  welches 
denen  bekannt  war,  die  er  belehren  und  auf  die  er 
wirken  wollte,  zu  dem  Unbekannten  fortschritt.  Und 
was  namentlich  die  Ethik  und  die  Politik  betrifft, 
so  war  er  ja  weit  davon  entfernt,  bloss  eine  philo- 
sophische Schulweisheit,  einen  Theil  des  „Systems" 
vortragen  zu  wollen.  „Nicht,  damit  wir  wissen, 
sagt  er,  was  die  Tugend  sei,  stellen  wir  die  Betrach- 
tung an,  sondern  damit  wir  gut  werden;  sonst  wäre 
sie  unnütz."  Freilich  gehörte  seine  Ethik  und 
Politik  darum  nicht  minder  in  die  Einheit  des 
ganzen    Gedankens,   in   die  Einheit   der  Wahrheit, 

2 


18 

die  er  überall  verfolgt  und  in  Worte  fasst.  Aber 
anknüpfen  will  er  überall  nicht  bloss  an  den  for- 
malen  Begriff  des'  Wortes  in  der  gewöhnlichen 
Sprache,  sondern  an  den  realen  Inhalt  der  im  Wort 
ausgesprochenen  Ansichten,  welche  in  dem  geistigen 
Leben  seiner  Zeitgenossen  und  besonders  Athen's 
als  ein  Gemeingut,  oder  als  den  Lernbegierigen, 
den  Gebildeten  bekannt  galten. 

L  Nicomachische  Ethik  1,  13.  Die  Seele. 
Nachdem  Aristoteles  im  ersten  Buch  der  Ethik 
davon  ausgegangen,  dass  jedes  Bestreben  einen 
Zweck  habe,  der  das  (wahre  oder  vermeintliche) 
Gute  sei,  der  höchste  Zweck  aber  oder  das  höchste 
Gute  dasjenige  sei,  um  dessen  willen  alle  anderen 
Zwecke  seien,  sucht  er  die  Wissenschaft,  welche 
sich  mit  dem  höchsten  Zweck  zu  beschäftigen  hat, 
und  den  höchsten  Zweck  selbst,  womit  sich  diese 
Wissenschaft  beschäftigt.  Jene  Wissenschaft  ist  die 
Staatswissenschaft  und  das  höchste  mensch- 
liche Gut,  welches  die  Staatswissenschaft  erstrebt, 
ist  die  Giückseligkeit  sowohl  nach  der  An- 
sicht der  Menge  als  der  Glücklichen.  Die 
Glückseligkeit  wird  dann  bestimmt  als  die  Thätig- 
keit  der  Seele  in  üebereinstimmung  mit  der  höch- 
sten Tugend  in  einem  vollständigen  Leben.  Sie 
also  ist  das  höchste  Gut  für  jeden  „politischen" 
Menschen,  für  jeden  Staatsbürger,  also  auch  für 
jeden  Griechen.  „Da  aber  die  Glückseligkeit  in  der 
Thätigkeit  der  Seele  besteht,  und  da  die  Tugend, 
welche  dieser  Thätigkeit  zum  Grunde  liegen  muss, 
nicht  eine  Eigenschaft  des  Körpers,  sondern  der 
Seele  ist,  so  folgt,  dass  jeder  Staatsbürger  eine 
gewisse    Kenntniss    der    Seele    haben   muss, 


\i*"' 


i 


I 


19 

nämlich  eine  solche,  welche  für  den  Zweck  genügt. 
Eine  umfassendere  und  genauere  Untersuchung  über 
die  Seele  würde  für  die  gegenwärtige  Betrachtung 
zu  weit  führen;  dagegen  kommt  auch  in  der 
gewöhnlichen  Unterhaltung  in  genügender 
Weise  Einiges  über  die  Seele  vor,  und 
davon  ist  (hier)  Gebrauch  zu  machen,  z.  B. 
dass  etwas  in  ihr  nicht-vernünftig,  etwas  aber  ver- 
nünftig ist.  Ob  dieses  beides  aber  trennbare  Theile 
sind,  wie  die  Theile  des  Körpers,  oder  ob  sie  von 
Natur  untrennbar  sind,  wie  im  Kreis  das  Convexe 
und  Concave,  macht  für  die  gegenwärtige  Betrach- 
tung keinen  Unterschied."  Es  wird  dann  aus  dieser 
Unterscheidung  die  Lehre  von  den  ethischen  und 
dianoötischen  Tugenden  —  wir  würden  etwa  sagen 
von  den  Tugenden  des  Herzens  und  des  Verstandes 
—  abgeleitet  und  bemerkt,  dass  man  die  lobens- 
werthen  Eigenschaften  sowol  des  Herzens  als 
des  Verstandes,  sowol  des  yj^o^  als  der  itdvoioc 
Tugenden  nenne. 

Ist  nun  jene  Unterscheidung  des  Vernünftigen 
und  des  Nicht  -  vernünftigen  in  der  Seele  etwas  so 
Ausserordentliches  und  nur  der  philosophischen 
Schule  Angehöriges,  dass  sie  nicht  auch  oft  in  der 
gewöhnlichen  Unterhaltung,  im  gewöhnlichen  Leben 
gemacht  werde?  Konnte  es  doch  nicht  fehlen,  dass 
jeder  Pädagog  oft  genug  seinen  jungen  Zögling  er- 
mahnte, nicht  der  unvernünftigen  Neigung  seiner 
Seele  zu  folgen,  sondern  seine  Vernunft  zu  gebrau- 
chen; konnte  es  doch  nicht  fehlen,  dass  man  bei 
dem  bewegten  politischen  Leben  jeden  Augenblick 
auf  die  Frage  geführt  wurde,  ob  der  Aoyof  oder  das 
«Aöyöv  gesiegt  habe;  —  ob  bei  diesem  und  jenem 
das  Herz,  welches  an  sich  keine  Vernunft  hat,  dem 


20 

Kopf,  d.  i.  der  Vernunft  folge ,  oder  ihr  widerstrebe. 
Aristoteles  stellt  diese  gewöhnliche  Unterscheidung 
überdies    ausdrücklich    der    philosophischen    Unter- 
suchung, dem  iTTl  TPKfm  l^ocK^ißovv,   entgegen;  und 
in  der  Schrift  über  die  Seele  3,  9,  sind  jene  nvk 
welche  das  hoyov  g%ov  und  das  »Aoyov  unterscheiden, 
weder  nothwendig  Philosophen,  noch  ist  anzunehmen, 
dass  die  ganze  Unterscheidung  die  Erfindung  eines 
Philosophen  sei,    gesetzt   auch    es  wäre    dieselbe 
Unterscheidung  zu  anderer  Zeit  und  von  Anderen 
durch  andere  Wörter  ausgedrückt.    Wieweit  die 
Unterscheidung  der  Seelenkräfte    hinaufreicht,   wie 
reich  schon  Homer  an  Bezeichnung  der    einzelnen 
Seelenkräfte  ist,   darüber  vergleiche   man   die  treff- 
liche Abhandlung   „über    die    beiden    Homerischen 
Cardinaltugenden"  von  F.  K.  D.  Jansen  in  dem  Mel- 
dorfer  Programm  von  1854.    Am  Schluss  jener  Ab- 
handlung bemerkt  der  Verfasser:    „Das  populäre 
Wissen  von  der  Ethik  ist  aus  dem  Homer  geboren  und 
fortdauernd  genährt;  die  vier  Cardin altugenden,  die 
dem  ganzen  Volksbewustsein   der  späteren  Zeit  ge- 
läufig   sind   —    liegen    in    der    Homerischen    Dyas 
beschlossen.  —  Aristoteles  mit  seiner  (?)  Eintheilung 
der  Seele  in  das  «Aovov  und  hoyov  e%ov  —  besonders 
aber  mit  seinem  untrennbaren  Tugendpaar,  der 
fj^/xj}  und  ituvofirtKri  oc^erv  steht  ganz  auf  Homeri- 
schem Grunde".     Schreiber  dieses  hat  schon  in 
der  Schrift  über  Sokrates  darauf  hingewiesen,  dass 
in  der  Rede,  welche  Thrasybul  nach  der  Einnahme 
der  Stadt  in  der  Volksversammlung  hielt,  den 
Oligarchen  die  Nichtigkeit   ihrer  Ansprüche  auf  die 
vier  Cardinaltugenden  vorgehalten  wird.  Dergleichen 
Begriffe  gehörten  so  sehr  in  den  Kreis  der  Bildung 
der  Athenischen  Bürgerschaft,  wie  bei  uns  etwa  die 


H^ 


i 


21 

Forderung,  dass  der  brave  Mann  „Herz  und  Kopf' 
am  rechten  Fleck  haben  soll,   und  wer  immer  die 
Unterscheidung    zuerst    mit    den  Worten   ro   ähoyov 
und  ro  Aoycv  f%ov  aussprach,  verständlich  musste  er 
im    gewöhnlichen   Gespräch   leicht   jedem  Griechen 
sein.     Wir  erinnern   auch  noch  an  die  Worte  Dis~ 
sens    in    den    Prolegomenen    zum    Pindar:    „vides 
virtutes   cardinales  vulgo  dictas    per  omnia  Pindari 
carmina  tractari,   quae  diu  ante  philosophos  inde  a 
priscis  temporibus  in  religionibus,  in  fabulis,  in  legi- 
bus civitatum,  in  carminibus  poetarum,  in  raoribus 
et    sensibus    populi    habebantur."      Auch   beim 
Aristoteles  werden,  trotz  der  Aufzählung  einer  Menge 
Tugenden  im  vierten   Buch   der  Ethik,   doch  fast 
immer,  wo  er  beispielsweise  Tugenden  anführt,  die 
vier    Cardinaltugenden    uvi^loc,    crooCp^ocrvvyi ,  SiKXiO(rvvfj 
und  <p^ovv\(ris  genannt,  von  denen  die  ersten  drei  dem 
v\äos  d.  i.  dem  ähoyov  aber  rov  Koyov  ocKovartnov  ^  die 
(p^ovf](ns  dagegen  dem  Koyov  €%ov  der  Seele  angehört, 
und   zwar  so,    dass   jede    der    ethischen  Tugenden, 
um  wirkliche  Tugend  zu  sein,  mit  der  cp^ovridis^  der 
dianoetischen    Tugend,    d.   i.   dem  Koyos  verbunden 
sein  muss,  denn  der  Xoyos  befielt  (iTrtTocrrsi)  wie  das 
flB'o^   {BvfjLos   und    eTnövfjLyjTiKov   Plato)    handeln    soll. 
Wir  denken,    es    kann    niemandem   auffallend   sein, 
dass   jene  Eintheilung    auch  Gegenstand    eines    ge- 
wöhnlichen Gesprächs  der  Gebildeten  ausserhalb  der 
Schule  war.     Keinen  Falls  gehörte   dieselbe  zu  den 
ausschliesslich  peripatetischen  Ansichten,  wie  Bernays 
(S.  36)  will,  und  eben  so  wenig  zu  den  Platonischen 
oder    sonst     specifisch     philosophischen    Ansichten. 
Schon  Homer  lässt  den  Zeus   die    etwanige  Unfolg- 
samkeit  des  Poseidon  gegen  seinen  Rath  und  Befehl 
als  ein  dXoyslv  bezeichnen  (II.  15,  163,  178). 


23 


2o 


i 


1 


n.   Nikom.   Ethik  6,  4.     Machen  und  Handeln.  ^   | 

„Von  demjenigen,  welches  so  und  auch  anders 
sein  kann,  ist  einiges    machbar,  anderes  thubar 
{Tromr^y  —  Tr^ccKTov).    Das  Machen  und  das  Thun 
(Handeln)    ist   verschieden.     Wir    stimmen 
in  dieser  Beziehung  auch  den  Gesprächen 
ausser  der  Schule  bei."    Nach  diesen  Worten 
folgt  bei  Aristoteles  eine  nähere  Begriffsbestimmung 
des    Machens    oder    der    Kunst   und    des  Handelns 
nach  seiner  eigenen  Terminologie.  Nur  die  Unter- 
scheidung selbst  zwischen  Machen  und  Handeln 
bestätigt   er  durch   den  Sprachgebrauch  in  der  ge- 
wöhnlichen Unterhaltung,  welche,  mochte  sie  auch 
öfter    Ttoislv    in    dem    Sinn    von    Tr^drrsiv   brauchen, 
doch    nicht    umgekehrt    7F§eirretv    in   dem  Sinn  von 
„machen"    anwenden   konnte.     Schon   in   Plato's 
Charmides  (p.  163  f.)  finden  wir  in  einem  Gespräch, 
welches  im  Grunde  ganz  den  Charakter  eines  \oyoff 
iloors^iKos  hat,  die  beiden  Wörter  unterschieden.   Aber 
auch  schon  Homer  und  alle  Folgenden  unterscheiden 
im   Gebrauch    der  beiden  Wörter,    so   dass   gewiss 
nirgends  z.  B.  Tr^drrsiv  KXmyiv  in  dem  Sinn  von  Ttoielv 
KhKTlYjv  gelesen  wird,  so  wenig  als  im  Deutschen  „ein 
Lager  thun",  statt  „ein  Lager  machen".    Diese  Unter- 
scheiduns:   wird    auch    wohl    allerseits    als    in    der 
Sprache    begründet    anerkannt,    und  weiteres,    wie 
gesagt,  leitet  Aristoteles   aus   den  e^oorr^mol^  hoyots 
nicht  ab,  als  dass  dieselben  über  die  Unterschei- 
dung hinlängliche  Ueberzeugung  geben.     Der  Aus- 
druck  des   Aristoteles  7fi(rrevciJtev,   auf  seine  eigenen 
Schriften   von  ihm   selbst  angewandt,    würde   ganz 
unpassend  sein. 


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i"'«!«/  Vk 

^ 


HL  Politik  3,  6.    Die  Weise  des  Regierens. 

„Auch   die    sogenannten  Regierungsweisen  sind 
leicht  zu  unterscheiden;  denn  auch  in  den  äusseren 
Unterhaltungen   machen  wir    oft   einen  Unterschied 
rticksichtlich  derselben."     Wer  in  dieser  Stelle  den 
Ausdruck  t^ottc/  rllj^  d^xü^,  die  Weisen  des  Regierens, 
für  identisch   hält  mit  e/^yj    rvi^  d^X^s,   den  Arten 
der  Verfassung,    wie  Herr  Bernays  (S.  53),   der  ist 
von  vornherein   auf  irrigem  Wege.    —    Aristoteles 
behandelt  in  den  drei  Büchern  2,  3,  4  die  el^Y\,  d.  i. 
die  Formen  oder  Arten  der  Verfassung.    Das  zweite 
Buch  berichtet  über  theoretisch  aufgestellte  (Plato, 
Phaleas,  Hippodamos)  und  factisch  bestehende  Ver- 
fassungen (Lakedämon,  Kreta,   Karthago)   und  fügt 
diesen  am  Schluss  noch  einige  einzelne  Bemerkungen 
über  andere  Urheber  von  Verfassungen  und  Gesetzen 
hinzu.    Das  3.  und  4.  Buch  enthalten  des  Philosophen 
eigene   Eintheilung  und  Beurtheilung  der  verschie- 
denen  Arten    {el^v\)    der  Verfassungen.     Zuerst  be- 
stimmt er  den  Begriff  des  Staats  und  des  Staatsbürgers 
und  das   Verhältniss   des   guten   Staatsbürgers   und 
guten  Mannes  zu  einander  nach  Maassgabe  der  ethi- 
schen Tugenden  und  der  Tugend  des  Verstandes  (<p^oV 
(T/f),  so  wie  des  dadurch  bedingten  Regierenden  (aV%«v) 
und  des  Regierten  {ä^xifjLsvos).    Nachdem  er  hervor- 
gehoben,  dass   es   Eine  Verfassung  gebe   (nämlich 
die  d^l(Trr\  TtoKmloc  des  7.  und  8.  Buchs),  in  der  der 
Regierende  und  der  Regierte  und  zugleich  der  gute 
Mann  und  der  gute  Bürger  identisch  sind,    weil  sie 
im    Besitz    der  vollen    Tugend   sind,    und  also   als 
Regierende   im  Besitz  der  Verstandestugend  zu  den 
ethischen  Handlungen  der  Regierten  als  solcher,  und 
dass  die  verschiedenen  Arten  der  Verfassung  in  Be- 


1 


24 

Ziehung  stehen  zu  den  nach  Verhältniss  der  Tugend 
verschiedene  Arten  des  Bürgers  {stin  ttoA/tou),  geht 
er  über  zu  der  Frage,  wie  viele  und  welche  Ver- 
fassungen es  überhaupt  gebe.  Die  Antwort  hängt 
ab  von  dem  Kv^tov  oder  der  höchsten  Staatsgewalt 
im  Staat.  Diese  aber  bestimmt  sich  nach  dem  Zweck 
der  staatlichen  Verbindung.  Da  nun  der  Mensch 
von  Natur  ein  gesellschaftliches  Wesen  ist,  so  streben 
die  Menschen  zuerst  darnach,  zusammen,  in  Gesell- 
schaft zu  leben;  demnächst  auch  dieses  Zusammen- 
leben angenehm  und  nützlich  zu  machen.  Es  fragt 
sich  also  gleich,  was  für  diesen  gemeinschaftlichen 
Zweck  das  gemeinschaftliche  Nützliche  (o-uft- 
(Ps^ov)  ist.  Der  Herr  von  Sclaven  herrscht  zu  seinem 
eigenen  Nutzen,  und  nur  accidentel  (koctoc  trvfx- 
ßeßfiKoi;)  zum  Nutzen  der  beherrschten  Sclaven,  denn 
der  Untergang  des  Sclaven  ist  des  Herrn  Schade. 
Beiden  ist  dasselbe  nützlich.  Der  Familienvater  sorgt 
für  das  Heil  der  Familie  und  ihrer  Glieder;  weil  er 
aber  auch  selbst  zur  Familie  gehört,  sorgt  er  accidentel 
auch  für  das  eigene  Heil.  In  beiden  Fällen  befasst 
zwar  der  Nutzen  des  Regierenden  (ä^xm)  den  Nutzen 
der  Regierten  (cc^x^fjisvot)  und  umgekehrt.  Aber  in 
dem  ersten  Fall  regiert  der  Regierende  als  solcher 
zu  seinem  Nutzen,  in  dem  zweiten  Fall  dagegen 
zum  allgemeinen  Besten.  In  der  Voraussetzung 
nun,  dass  im  Staat  der  Regierte  («^%oVm^),  wenn 
er  Regierender  («f%«*')  '^ij'd,  ebenso  den  Nutzen 
des  gegenwärtig  Regierenden,  wenn  er  Regierter 
wird,  im  Auge  behalten  werde,  wie  dieser  den  Nutzen 
jenes  im  Auge  hatte,  besteht  in  den  Staaten,  wo 
Gleichheit  der  Bürger  herrscht,  ein  Wechsel  der 
Herrschaft  (d.  i.  der  Bürger,  welche  die  höchste 
Gewalt,  das  Kv^tov^  vertreten).     Allein  es  kann  auch 


>- 


i        i 


i 


ff 


25 

der,  welcher  im  Besitz  der  höchsten  Gewalt  ist,  diese 
Gewalt  zu  seinem  eigenen  Nutzen  missbrauchen. 
Daraus  ergiebt  sich,  dass  in  derselben  Verfassung, 
möge  die  höchste  Gewalt  bei  dem  ganzen  Volk,  oder 
bei  Wenigen,  oder  bei  Einem  sein,  dio  Regierungs- 
weise, der  TföTTof  rris  ol^xri^  den  entgegengetsctzten 
Charakter  haben  kann,  je  nachdem  der  Monarch, 
oder  die  Wenigen  oder  die  Mehrheit  zum  allge- 
meinen Besten  oder  zum  eigenen  Vortheil 
regieren. 

Von  dieser  Weise  des  Regierens,  oder  wie 
wir  etwa  sagen  würden,  von  diesem  Charakter  der 
Herrschaft  spricht  Aristoteles  in  unserer  Stelle,  und 
bemerkt  gewiss  mit  Recht:  „es  ist  leicht,  die 
s.  g.  Weisen  des  Regierens  zu  unterschei- 
den, denn  auch  in  gewöhnlichen  Gesprächen 
machen  wir  öfter  einen  Unterschied  rück- 
sichtlich derselben".  Oder  sollte  bei  dem  Wechsel 
und  dem  regen  politischen  Leben  in  Griechenland 
nicht  tausendmal  die  Betrachtung  darauf  geleitet  sein, 
ob  in  diesem  oder  jenem  Staat  die  Oligarchen  oder 
die  Demokraten  oder  wer  immer  die  Herrschaft  inne 
hatte,  ob  sie  den  eigenen  Vortheil  erstrebten 
oder  das  allgemeine  Beste?  Wer  daran  zwei- 
felt, der  möge  nur  heute  aufhorchen,  in  den  s^oore^i 
Kootocrots  Koyois  wird  er  dieser  Unterscheidung  täg- 
lich begegnen. 

Wir  nehmen  aber  von  jenem  Irrthum  der  Iden- 
tificirung  der  Begriffe  el^os  und  r^oTtos  Anlass  durch 
ein  paar  Beispiele  an  die  Vorsicht  zu  erinnern,  welche 
das  Verständniss  des  Aristotelischen  Sprachgebrauchs 
jedem  Forscher  auflegt.  —  Im  3ten  Capitel  des  2ten 
Buchs  der  Physik  zählt  Aristoteles  die  d^x^^  ^^^^ 
alriu   auf  und   führt   sie    sämmtlich   zurück  auf  die 


26 

bekannten  vier:  des  Stoffs,  der  Form,  der  Be- 
weg u  n  g  und  des  Z  w  e  c  k  s.  Am  Schluss  des  Capitels 
filgt  er  dann  hinzu:  „diese  und  so  viele  Ursachen 
giebt  es  nach  der  Art.  Die  Weisen  aber,  wie 
etwas  Ursache  ist,  sind  der  Zahl  nach  viele,  die 
maü  aber  unter  wenige  zusammenfassen  kann,  und 
auch  bei  den  gleichartigen  ist  eine  Weise  vor 
der  andern".  Aristoteles  führt  dann  die  Weisen 
der  vier,  nach  der  Art  verschiedene,  Ursachen  auf 
zweimal   sechs  zurück.     Joe  /ufv  ouv  ulrtoc  rocvrx  kcci 

fjih  sm  7foKho\  KS<Pochottovfxevot  is  noci  ovrot  Iäocttov^- 

Ein  anderes  Beispiel  der  Unterscheidung  des 
T^iTTos:  und  elios  in  anderer  Anwendung  ist  folgendes, 
über  welches  wir  wegen  der  nicht  gleich  hervor- 
tretenden Anordnung  etwas  ausführlicher  sprechen 
wollen.  Es  findet  sich  im  2ten  Capitel  des  4ten 
Buchs  der  Politik  verglichen  mit  den  drei  letzten 
Capiteln  desselben  Buchs.  Weil  aber  das  2te  Capitel 
sich  auf  den  Anfang  des  Buchs  bezieht,  und  dessen 
Inhalt  von  den  vier  verschiedenen  besten 
Verfassungen  einer  deutlicheren  Darlegung  be- 
darf, wollen  wir  aus  dem  Vortrag  in  der  Casseler 
Philologen-Versammlung  (1843)  Folgendes  mit  einigen 
Zusätzen  der  auf  jede  bezüglichen  Ausdrücke  her- 
setzen:  „Der  besten  Verfassungen  giebt  es  vier, 

1)  die  absolut  beste:  r<V  dqlarv]'  rZ  yu^  kuX- 
hitrret  7St<pv%iri  %oc\  %€%o^v\yv\iJLh(ß  tyiv  oc^l(Trfiv  dvoc- 
yKoclov  ei^fJiorretV'  —  rriv  (i^l(rrr\v  d€oa^r\(Tcn  rk  eart,  Koti 

TFoSliovrOS    TflöV    SKTOff-   Tljv  K^OCri(Trif\V   CtlthODS 

riw    oc^iarrjv   7ro?^trelocv '    ryjv    ocK^oTocTfjv    koc)    isofAhfjv 
TroKÄv^  Xo^fiyias.     Vgl.  B.  3,  c.  15-18  und  B.  7  u.  8. 


\ 


1     x.\ 


27 

2)  die  allgemein  beste:  rls  rols  TtKelarois 
IX  la  7rä(TtV'  —  tj}v  ixocXiaroc  tj-ocVoc/s-  rocls  TroXsatv  ccq- 
fjtorrovauv  *  —  koivv\v  rivct» 

3)  die  relativ  beste,  d.  i.  die  nach  bestehenden 
Verhältnissen  beste:  7t ol»  ttoicj)  <rvfx(pk^ei'  —  rk 
rmv  d^fÄorrovacc'  rviv  Ik  töJv  vTTOKsiixhm  ei^i<Tri^v 
—   TYfv  iviexofxhfjv  h  Toov  v7Foc^xovra>v  —   Tijv  övvurriv» 

4)  die  bedingt  beste,  d.  i.  unter  Voraus- 
setzung einer  bestimmten  Forderung:  —  luv  ns  fxY\ 
r?s-  hvovixsvY}^  iTPtöviAV'  —  rrjv  l|  vTroösascßS,  rtiv 
Soösiaocv'  —  nvoc  Cpocvyore^ocV' 

Alle  diese  Ausdrücke  finden  sich  in  dem  ersten 
Capitel  und  ihre  Beziehung  auf  je  eine  der  vier  besten 
Verfassungen  ist  nicht  zweifelhaft.  Im  Vorbeigehen 
wollen  wir  hier  nur  bemerken,  dass  alle  diese  Ver- 
fassungen, mit  Ausnahme  der  absolut  besten,  zwar 
an  sich  o^öocl  sind,  aber,  wenn  die  Regierenden  zu 
ihrem  eigenen  Vortheil  regieren  durch  solchen  t^otto^ 
rSi"  oc^x^s  zu  TTot^sKßoicrei^  werden  können.  —  Mit 
Beziehung  also  auf  jene  Verschiedenheit  der  besten 
Verfassungen  giebt  Aristoteles  nun  im  zweiten  Ca- 
pitel den  Inhalt  des  Buchs  in  folgender  Weise  an. 

1)  rifxiv  TS^Zrov   fxsv   iiut^ersov  Tfocoa  iiot<po^obi  rSv 
TToKirsiSv    (1—10),    ems^    hnv    e/iv}    TtXslovoc    rv\s  rs 

Srjfxoa^ocrlocff  koc)  rvf^  iXtyoc^xl^^  (^'  ^—^^  ~  ^^^ 
$1  rts  äKKv\  TervX^KSv  d^ KTroü^ocriKVf  koc)  (Tvvsaraxru 
kuKZs  (c.  7).  —  Dazu  c.  8,  9:  tts^)  rr\s  vofxl^ofxhrit; 
TroXiTeloi^'  {rl  huCps^ovaiv  ocXhviXoov  ou  r  u^KrroK^ocrlccf, 

KiX.)    CCl    TTohiTsToCt    TV\S    d^KTTOK^CCrloCS,    KCC)    CTl    oC    7t  C  ^  ^  09 

ecvrott  dKKYWm,  <puvsqiv  c.8a.E.);  ferner  c.  10:  7t6q) 

2)  rk  Kotvordryj   koc)   rk    etiler Mrurtj    fxerd   rvjv 
d^lcrmv  TToA/TF/etv,   —   )c«v   ei  SiS  äKKr\   etc.  cf.   ad  h 


28 

—    dhÄec   rctis    tsXs'kttuis   cc^fjtorrovo'ec    7toKs<ri 
rls  eartv.  c.  11.  die  allgemeine  beste  Verfassung. 
An  in.  Ueber  die  bedingt  beste  (Tj-fos*  vTtodftriv^  — 

(Pe^etv  itsfctv  fjLuKXov  eivcct  TtoXirsluv  c.  1 1  a.  E.)  lassen 
sich  keine  Regeln  aufstellen. 

3)  €7retTec  kcc)  rZv  »KKm  ris  ri(n  ui^en^.  c.  12. 
die  relativ  beste  Verfassung. 

Anm.  Von  der  absolut  besten  Verfassung,  t^ber 
die  er  im  7ten  und  8ten  Buch  handelt,  will  er  hier 
noch  nicht  sprechen.  Es  kann  möglicher  Weise  eine 
absolut  beste  Basileiades  Einen  und  eine  abso- 
lut beste  Aristokratia  der  Wenigen  geben:  über 
diesehat  er  B.  3  c.  15— 18.  gesprochen,  wie  er  selbst 
anführt  4,  2  i.  A.  ßovXsroti  hurefec  Kctr  ec^sTviv 
(Tvve(TTeivoci  Ksxo^ffyvH^evffv»  Höher  als  diese  steht 
die  absolut  beste  Politeia,  in  der  alle  Staats- 
bürger an  der  Regierung  Theil  haben.  Auf  diese 
konnte  er  sich  hier  nicht  beziehen,  weil  das  7te 
Buch  eben  nicht  das  vierte  ist. 

4)  fjtercc  ^s  ro6vToc^  rlvcc  t^ottov  ie7  KetBt<rrecvect 
rov  ßovKofjievov  rccvrccs  reis  TtoKneiocs^  Kiyai  oi  ötjfÄOK^ot' 
rlas  TB  käÄ*  skccttov  elios  k»)  ttocKiv  oXtyu^%tocff  (c. 
13  aoCplo'fjiocToc  oXiycc^xnccc  k.  ofifjtoK^ocriKoc)  c.  14,  15,  16. 

Weit  entfernt  also,  dass  r^ijfos  und  sl^os  gleich- 
bedeutend sind,  bezieht  er  den  r^iTTos  hier  auf  die 
Weise  der  Einrichtung  des  beabsichtigten  siios  (wie 
oben  Pol.  3,  6.  auf  die  Weise  der  Ausführung  der  Ver- 
fassung). Diese  r^iiroi  Averden  in  den  letzten  3  Capiteln 
des  4.  Buchs  rücksichtlich  der  Einrichtung  {kuÖkttuvui^ 
KUTeiare6(ns)  der  drei  Gewalten,  toiv  fxo^loov  rm  TtoKi- 
thZv  clTratrSv,  nämlich  der  berathenden  (ro  ßov 
hivifjLsvov) ,  der  verwaltenden    (to  iV%ov)   und    der 


29 

richjter liehen  (to  StKoc^ov)  dargestellt  und  zwar  in 
ihrer  Verschiedenheit  nach  den  verschiedenen  e^/ivi  der 
Verfassung,  der  Demokratie,  der  Oligarchie  und  der 
aus  diesen  gemischten  Aristokratie. 

Ueber  die  t^ottoi  der  Einrichtung  der  Politeia 
sowohl  der  mehr  demokratischen,  als  der  mehr  ari- 
stokratischen vgl.  B.  4,  c.  9. 

Um  zu   unserer  Stelle   der  Politik  3,  6  zurück- 
zukehren:   es   giebt  hauptsächlich  zwei  Weisen  des 
Regierens,  r^iirot  rris  dex^g*    Darnach  sind  die  Ver- 
fassungen rechte  oqöoci,  wenn  die  höchste  Gewalt, 
das  jcuf/ov  im   Staat    das    allgemeine  Beste,    ro 
KOiv^    <rvfjL(ps^ov^    erstrebt;     dagegen     fehlerhafte, 
YifJtoc^TYjfÄevoci  (Plato)  oder  7r«ffx/3«(rf/s",  wenn  die  höchste 
Gewalt    zum    eigenen    Vortheil,    tt^os    ro    titov    (rvfx- 
(Pe^ov,  der  kv^$oi  verwandt  wird.     Es   kann    dies    in 
jeder   Art   von  Verfassung  eintreten.     Nach   der 
Art,  slioff,  aber  giebt  es  drei  Verfassungen,  je  nach 
dem  Einer,  oder  wenige  oder  die  Mehrheit  im 
Besitz    des    kv^iov    oder    der    d^x^  des  Staats   sind. 
Diese  drei  e^Stj  finden  sich  nun  sowohl  in  den  i^öxi^ 
als  den  vjfjioc^rfifjihxi^  TfoKirelocts  nach  der  Verschieden- 
heit des  r^oTtos  rv\s  cc^X^i^-    ^^  ^^^  i\jxoc^rif\ixhocts  wird 
die  Basileia  zur  Tyrannis,  die  Aristokratie  zur  Oli- 
garchie, und  die  Politie  zur  Demokratie  (Ochlokratie). 
Jede  der  so  entstandenen  sechs  si^t]  hat  wieder  ihre 
Unterarten,  gleichfalls  el^v]  genannt,  welche  Aristoteles 
im  4.  Buch  durchgeht. 

Wie  nun  deutet  Herr  Bernays  jene  Weisen  des 
Regierens,  deren  Unterschied  Aristoteles  mit  der 
gewöhnlichen  Ansicht  in  das  Regieren  z um  eigenen 
Vortheil  oder  zum  allgemeinen  Besten 
setzt?  Aus  den  Titeln  von  vier  verlorenen 
Schriften   leitet   er   eine   im   Grunde   ganz    andere 


so 

Unterscheidung  ab  (S.  56),  indem  er  den  Aristoteles 
dein  Alexander  den  Rath  geben  lässt,  den  Barbaren 
in  Asien  eine  despotisch  zwingende  Behand- 
lung angedeihen  zu  lassen,  dagegen  den  Hellenen 
eine  freiheitliche  Leitung.  Die  Ermahnung  an 
Alexander  ist  ebenso  sehr  eine  blosse  Phantasie 
des  Herrn  Bernays,  als  die  Deutung  des  r^o'nos  falsch. 
Rücksichtlich  der  e^iv^  möge  noch  darauf  auf- 
merksam gemacht  werden,  dass  es  nicht  zufällig 
ist,  dass  in  diesen  Büchern  2.  und  3.  das  Wort  »JW 
unzählige  Mal  gelesen  wird.  Unter  Beziehung  auf 
die  Abhandlungen  von  B endixen  im  Philologus 
Bd.  XHI  u.  XIV.  und  von  dem  Verfasser  dieses  in 
den  Verhandlungen  der  Philologen  Versammlung 
in  Cassel  1843  und  im  Philologus  XV.  dürfen 
wir  wohl  die  Frage  wegen  der  Ordnung  der  Bücher 
der  Politik  als  zu  Gunsten  sämmtlicher  Handschriften 
und  der  Ausgaben  (mit  Ausnahme  der  jüngsten 
Bekkerschen)  als  erledigt  ansehen.  Wir  kommen 
indessen  im  nächsten  Abschnitt  darauf  zurück. 
Wir  beharren  auch  bei  dem,  was  wir  in  der  Philo- 
logenversammlung dargethan,  dass  das  erste  Buch 
der  Politik  das  vTtoKelfxevov  des  Staats,  das  2te, 
3te  und  4te  Buch  das  sliosy  das  5te  und  6te  Buch 
die  fAiraßoKn  oder  xi'vn<ri^  und  das  7te  und  8te 
Buch  das  riXos  des  Staats,  die  TroKtrelec  reXeia  d.  i. 
die  d^l(mi  »ti^kZs  betrachtet.  Auch  die  Gegenbe- 
merkungen des  Herrn  Hildenbrand  (Geschichte 
und  System  der  Rechtsphilosophie  S.  390),  der  sich 
in  würdigerer  Weise,  als  Herr  Sprengel  darüber 
ausspricht,  sind  weit  entfernt,  uns  zu  einer  an- 
dern Ansicht  zu  bewegen.  Aristoteles  macht  die 
vier  Ursachen,  deren  Erkenntniss  die  Bedingung 
aller   Erkenntniss   ist   (was  Herr  Spengel   freiUch 


}' 


i        ^ 


31 

zu  leugnen  scheint)   zum  Eintheilungsgrunde   seiner 
Betrachtungen  über   den  Staat.     Die    vier  Ursachen 
des  Staats   sind   das  vTi oKslfjLsvov^    oder    die    fxe^v\ 
roZ    oKov    die    einzelnen   Bürger    mit    ihrer   Familie^ 
ihrem    Haus;    das    flJoi-    die    Formen,    Arten    der 
Staaten,    die    Verfassung;    die    d^xi\    ^i\f\<rsoos    oder 
fjüTotßiohvis  und  ri^6fxri<reooi^,  die  Ursachen  und  Wcl«en 
^vie   eine  Verfassung  in   die  andere    übergeht,    wie 
der    Staat   in    seiner    Verfassung    zu    erhalten    ist; 
endlich  das  r^Aof ,  das  höchste  Ziel  des  Staats  oder 
der  vollkommene  Staat,  und  wie  und  durch  welche 
Mittel   dieses  Ziel  erreicht,   der  vollkommene  Staat 
verwirklicht    wird.      Alle    diese    Ursachen    werden 
natürlich  immer  als  Ursachen  des  Staats,  als  des 
Resultats     aller    vier    Ursachen    betrachtet, 
von  dem  sie  nicht  zu  trennen   sind,   daher  überall 
gelegentlich  auf  die  andern  Ursachen  Rücksicht  ge- 
nommen   ist,    während    gleichwohl    die    sich    ent- 
sprechenden Stichwörter  jener  Eintheilung   in    den 
verschiedenen  Büchern  leicht  gefunden  werden.    Wir 
gestehen,   es   fehlt    uns   durchaus  das  Verständniss 
wie   ein  Kenner  des  Aristoteles    sich    einer  Ansicht 
verschliessen  kann,   der   eingeräumt  wird,   dass  sie 
sich  schon  „auf  den  ersten  Blick  als  acht  aristo- 
telisch empfiehlt,"  und  die  eben  darauf  beruht, 
dass,  wie  gleichfalls  eingeräumt  wird,  „die  aristo- 
telische  Politik   ohne  Kenntniss    der  Be- 
deutung, welche  die  vierUrsachen  in  der 
Philosophie  des  Aristoteles  haben,  nicht 
verstanden    werden    kann."    Wenn   der   be- 
rühmte Urheber  der  Lehre  von  den  vier  Ursachen 
wiederholt   die  Kenntniss  derselben   als   die   Bedin- 
gung aller  Erkenntniss  aufstellt,  und  nun,  um  zur 
Erkenntniss  des  Staats  zu  gelangen  und  sie  andern 


f 


32 

nntzutheilen,  diese  vier  Ursachen  in  allen  Beziehungen 
des  Staats  aufsucht,   heisst    das  die  Politik  in  eine 
„Schablone"  einzwängen?     Oder  liegt  vielmehr  der 
Grund   der  Bewunderung   „des  freien  manchmal  zu 
freien  Gangs  seiner  Untersuchungen"  doch  vielleicht 
darin ,  daes  der  Gang  dieser  Untersuchungen   doch 
nocli  '  nicht    ganz    verstanden     war?      Was    Herr 
Hildenbrand    gegen    unsere   Ansicht  bemerkt  —  so 
will   uns    bedünken  —  möchte    wohl   hauptsachlich 
dem  Aristoteles   selbst  den  Vorwurf  machen,   dass 
er  nicht    genug   nach    der  von  Herrn  Hildenbrand 
ihm  zugemutheten  „Schablone"  gearbeitet  hätte.  — 
Die  Sprache  des  Aristoteles  und  die  einzelnen  Sätze 
sind  meistens  leicht  verständlich;   allein  die  Aristo- 
telischen Begriffe  sind  oft  schwer  zu  bestimmen,  und 
noch  schwerer  ist   es,  diesem   grossen  Mann  in  die 
geistige  Werkstatt  hineinzublicken  und  der  Bewegung 
seines  Gedankens  ohne  Abirren    zu  folgen.     Jeden 
Falls  ist  die   von  „dem   manchmal   zu  freien  Gang 
seiner    Untersuchungen"     entnommene    Beruhigung 
gefährlich.     Im   Uebrigen   sei  dem   Verfasser  jenes 
ausgezeichneten  Buchs   für   die    ernste  Besprechung 
unserer  Ansicht  unser  Dank  gesagt. 

Wenn  Aristoteles  gleich  im  7ten  Capitel  des 
3ten  Buchs  sagt :  kocKsIv  S'  sloiöcc  i^ev  rSv  fih  ixovoc^' 
%/av  TJ7V  TT^cs-  ro  KOtvov  oCTroßKeTTovcTUV  (TvfA(pi^ov  ßcctri- 
hslocvy  TYjv  Jf  rSv  ohlym  fxlv  Trhetovoov  S'  ivk  d^iaroK^ocrlocv 
IC,  r-  A.  so  meint  er  mit  jenem  sloiöocfjisv  nichts 
anderes,  als  in  unserer  Stelle  mit  iio^t^ofxsdecy  ob- 
gleich er  später  (4,  2)  ausdrücklich  hervorhebt, 
dass  die  Begründung  der  Rangordnung,  in 
welche  er  die  sechs  Verfassungen  stellt,  von  ihm^ 
selbst  herrühre.  "AvdyKfi  —  nfv  fjisv  rris  Tf^oirfjs  m) 
ditotcirvi^  7i;»^hßwTiv  itvcct  %f/f/(rr»iV  rr,v  Ss  ßoctnÄeiccv 


33 

ccvccyKoclov  ^  rovvofxoc  jmovov  exeiv  ovk  ovaccv,  ijlotoc  TroWtjv 
\}7Seqo%Y\v  eivoct  Tfjv  rov  ßocaiKsvovtos^  axrre  r>)v  rvfocvvlooc 
%ei^i(rrv\v  oZaotv  TsKslrrtov  imk'Xjeiv  TtoKirsloLs^  öevre^ov  de 
Tfjv  oKiyuqxlocv  (y\  ycc^  ci^to'roK^ocrloc  othryjKsv  octto  rotvrtjs 
TToAu  ryjs  7toKireloi.s\  fjier^tooTocrYiv  S^  rrfv  örjfxoK^xrlocV' 
ii^Yf  fÄSV  oxjv  riff  o67rs<f)rivxro  koc)  roov  Tr^orefwv 
ovroos  (nämlich  Plato  im  Politicus  p.  299  ff.)  ov 
ixrjv  eis  rocvro  ßXe'^ocff  YffAlV'  k-  r.  A. 

-   IV.     Politik  7,  1. 
Das    beste    Leben    und    die    Güter. 

Die  vierte  Stelle,  worin  die  I^outs^iko)  hoyot  er- 
wähnt werden,  findet  sich  in  dem  Anfang  des  w^ich- 
tigsten  Theils  der  Politik  des  Aristoteles,  den  der- 
selbe im  7.  und  8.  Buch  abhandelt.  Den  wichtigsten 
Theil  nennen  wir  ihn  deshalb,  weil  er  das  Ziel 
betrifft,  wohin  die  ganze  Ethik  und  die  vorher- 
gehenden Lehren  und  Betrachtungen  über  die  staat- 
lichen Dinge  hinstreben.  Wie  Aristoteles  das  Beste 
von  jedem  dessen  Ziel  (rsKos)  nennt,  in  welchem 
sich  alle  Elemente  und  Ursachen  seines  Werdens 
vereinigen,  so  musste  er  nothwendig  diese  beiden 
wunderbar  schönen  Schriften  mit  dem  Ziel  aller 
Ethik  und  Politik  abschliessen,  mit  der  Schilderung 
des  besten  Staats  und  den  Mitteln  ihn  herzustellen. 
Die  vier  ersten  Capitel  des  siebenten  Buchs  enthalten 
den  tiefen  Gedanken,  welcher  von  der  Ethik  in  die 
Lehre  vom  besten  Staat  hinüberführt.  —  Wir  werden 
hier  ein  wenig  ausführlicher  reden,  denn  wir  stehen 
den  bedeutendsten,  zum  Theil  uns  befreundeten  Ge- 
lehrten gegenüber,  vor  denen  wir  gewiss  alle  Hoch- 
achtung hegen,  und  denen  gegenüber  wir  gleichwohl 
um  der  Wahrheit  willen  offen  es  sagen  müssen :  sie 
haben   das   ethisch  -  politische  Werk   des   Aristoteles 

3 


34 

in  seinen  tiefsten  Beziehungen  nicht  vollständig  ge- 
würdigt. Wer  dies  gethan,  der,  glauben  wir,  kann 
unmöglich  meinen,  die  Politik  des  Aristoteles  da- 
durch zu  verbessern,  dass  er  mit  Barthelemy  St. 
Hilaire,  Spengel,  Bekker,  Brandis,  Zeller,  Hilden- 
brand, Bernays  die  Lehre  vom  besten  Staat,  von 
dem  Ziel  aller  Ethik,  welches  zugleich  das  Ziel  aller 
Menschen  sein  soll,  in  die  Mitte  der  Schrift  nach 
dem  dritten  Buch  einschiebt.  So  wenig  das  8te  und 
9te  Buch  der  Ethik  als  eine  besondere  Schrift 
über  die  Freundschaft  aufgefasst  werden  darf  (wie 
Herr  Bernays  thut  S.  52,  dem  überdies  die  vorgeb- 
lichen „vielen  Seltsamkeiten"  des  zwölften  Capitels 
des  achten  Buchs  der  Ethik  den  Abschnitt  über  die 
Freundschaft  zu  einem  „ungelösten  Räthsel  (!)  innerhalb 
der  politischen  Lehre  des  Aristoteles"  machen)  oder  so 
wenig  das  7.  Buch  der  Ethik  als  nicht  nothwendig  zur 
Ethik  gehörig  betrachtet  werden  darf,  so  wenig  darf 
die  Ordnung  der  Bücher  der  Politik  geändert  werden. 
Aristoteles  hatte  in  der  Ethik  gelehrt,  die  Glück- 
seligkeit des  Menschen  bestehe  in  der  Thätigkeit 
des  Geistes  in  Uebereinstimmung  mit  der  höchsten 
Tugend  in  einem  vollständigen  Leben  ;  die  Tugend 
sei  nur  dann  wahre  Tugend,  wenn  sie  zugleich 
auf  Wollen  und  Denken  beruhe,  wenn  dasselbe  der 
Verstand  befiehlt  und  die  Begierde  erstrebt,  wenn 
die  ethische  Tugend  des  Muths,  der  Mässigung  und 
der  Gerechtigkeit  so  handeln  will  und  wirklich  so 
handelt,  wie  die  dianoötische  Tugend  der  Weisheit 
vorschreibt.  Dass  der  Mensch  dieser  Tugend  fähig 
ist,  verdankt  er  zuerst  seiner  Natur,  die  ihm  die 
Gottheit  verliehen,  dann  der  Gewöhnung,  d.  i,  der 
Erziehung  zur  Sittlichkeit,  und  endlich  der  Lehre, 
dem  Unterricht,  der  Ausbildung  seines  Verstandes 


/ 


.^0 


35 

und  Wissens.     Diese  drei  ((pijW,  viöo^,  Koyos)  muss 
er  in   vollkommener  Harmonie  zusammen  stimmen 
lassen.  —   Wo  das  l^dos  bloss  der  (piais  folgt,    und 
der  Kiyos  keinen  Theil  am  Handeln  hat,  ist  im  Guten 
keine  Tugend,   im  Schlechten  aber  Lasterhaftigkeit, 
welche  sich  der  Thierheit  nähert  (Nik.  Ethik  Buch  7). 
Die    Tugend,    welche   nicht    in    einer   latenten 
Fähigkeit,    sondern   in    einer    auf  fest    gewordener 
Eigenschaft  beruhenden  Thätigkeit  besteht,  kann 
nur   in    dem   thätigen    (praktischen)    Leben    geübt 
werden,    zu   dem   der  Mensch  nur  in  GeseUschaft 
mit  andern  Menschen  gelangen  kann     Ohne  Bezie- 
hung    zu    andern    Menschen    würde    von    ethischen 
Tugenden  keine  Rede   sein.     Der  Mensch   aber  ist 
von   Natur    ein    Gesellschattswesen ,    ein   staatliches 
Wesen;    er  muss  im  Verein,   in  Gemeinschaft  mit 
andern  leben,  wenn  er  sein  Ziel  erreichen  soll.    Das 
Band  dieser  Gemeinschaft  bezeichnet  Aristoteles  durch 
die  „Freundschaft"    im    weitesten    Sinne.     Die 
Freundschaft  ist  es,  welche  durch  das  Angenehme, 
durch  das  Nützliche,  im  Höchsten  durch  das  an 
sich  Gute  die  Menschen  verbindet  und  die  staat- 
liche  Gesellschaft  zusammen  hält.     Es  kann  daher, 
wie  keine  Glückseligkeit  ohne  Tugend,  so  keine  Tu- 
gend ohne  Freundschaft  und  ohne  den  auf  Freund- 
schaft beruhenden  Staat  bestehen. 

Freilich  bedarf  der  einzelne  Mensch  wie  der 
Staat  sowol  der  äusseren  Güter,  als  der  Güter  des 
Körpers  und  der  Güter  des  Geistes,  um  sein 
Ziel  zu  erreichen,  aber  unter  diesen  dreien  nehmen 
unbedingt  die  letzteren  den  höchsten  Rang  ehi.  Wie 
die  Glückseligkeit  auf  Tugend  beruht,  und  der  Mensch 
nur  im  Staat  und  in  seiner  Eigenschaft  als  staat- 
liches Wesen  jenes  sein  Ziel  erreichen  kann,  so  beruht 

3» 


36 

die  Glückseligkeit  der  Gesammtheit,  und  jedes  Ver- 
eins und  jeder  Gemeinschaft,  sowol  der  staatlichen 
als  jeder  kleineren  auf  denselben  Bedingungen. 
Im  Menschen  wird  die  Vielheit  des  Begehrens  und 
des  Wollens  (der  ethischen  Tugenden)  durch  die 
Vernunft  (die  diano^tische  Tugend)  zur  Einheit  ver- 
bunden. Eben  so  ist  es  in  jedem  kleineren  und 
grösseren  Verein,  der  irgend  ein  Ziel  hat,  welches 
worin  immer  dasselbe  bestehen  mag,  nur  durch  die 
Thätigkeit  des  Geistes  erreicht  werden  kann.  Auch 
in  jedem  Verein  muss  daher  neben  den 
handelnden  Elementen  der  ethischen  Tu- 
genden (neben  dem  rov  Koyov  »KovanKov) 
ein  befehlendes  Element  der  dianoötischen 
Tugend  (ein  hoyKmKov^  ßovXsvofjievov)  sich 
finden.  Jenes  ist,  wie  in  der  Seele  des 
Einzelnen,  so  in  jedem  Verein  und  vor 
allem  im  Staat  das  dfxofjtsvov^  dieses  das 
ä^XoV'  In  dem  Verein  von  Mann  und  Frau,  von 
Vater  und  Kindern  muss  daher  in  allen  Beziehungen, 
wo  der  Mann  und  Vater  als  Herr  und  Gebieter  des 
Hauses  aufzutreten  hat,  die  Frau,  der  Sohn  auf  die 
(pfovjjo-if  verzichten,  weil  der  Mann  und  Vater  im 
Besitz  der  dianoetischen  Tugend  ist,  für  die  ethische 
Tugend  der  Frau  und  des  Sohnes.  Jener  befiehlt 
(sTFiTccrret)  als  «f%(wv,  während  diese  ausführen  als 
d^XofjLivoh  Im  Heer  vertritt  der  Feldherr  die  (p^ovrjats 
zur  dvi^lcc  der  Bmeger,  und  so  durch  alle  Vereine 
hindurch,  denen  die  Sprache  daher  auch  ein  „Haupt" 
einen  „Chef*,  einen  „Capitain"  zu  geben  pflegt,  be- 
nannt nach  dem  Sitz  der  (p^ivTjat^^  im  Gegensatz  zu 
dem  „Corpus",  dem  „Corps",  der  „Corporation". 

Wie  nun  in  jedem  solchen  Verein,  so  muss  vor 
allem  in   dem  grössten  Verein,  der  alle  andern  in 


// » 


87 

sich  befasst,  im  Staat,  der  ä^x^^v  m  allem,^  worin  er 
^p-v^v   ist,   im   Besitz   der  befehlenden  (p^ivyjfrt^  sem 
zu  den  ethischen  Handlungen   der  Regierten,   ä^%o- 
fjievoi,  welche  ihrer  Seits  in  Beziehung  auf  alle  Staats- 
handlungen,  in   denen   sie   nur  a^xoVvo/  sin^,   auf 
die  befehlende  (p^ivfjcrs^  und  folglich  auf  die  Uebung 
der  vollen  Tugend  verzichten,  deren  in  jedem  em- 
zelnen    Fall,    nur    das    «^%ov   oder    ßovKevifxevov  des 
Staats    fähig    und    theilhaft  ist.     Das  oä^^ov  verftigt 
über  die  Tapferkeit  des  Kriegers,  über  die  Gerech- 
tigkeit des  Richters:  beide  Tugenden  bleiben  latent, 
sind  nicht  Ivsa^loc,   sondern  nur  iwccfxet  vorhanden, 
wenn    nicht  das   äV%ov   und  ßovAsvofxsvov   des   Staats 
beräth  und  verfügt,  wie  und  wo  der  ot^xoV^vof  jene 
ethischen  Tugenden  üben  soll ;  während  dieser  natür- 
lich  in    allen   Fällen,  wo  er  nicht  ein  d^x^f^^vos  ist, 
selber  im  Besitz  der  cp^ivficn^  zu  seinem  ?^os'  bleibt. 
Es  erstreckt  sich  also  die  Sphäre,  worin  der  cl^x<^v 
Tugend  üben  kann,  viel  weiter,  als  die^,  worin  der 
ti^xif^fvos,  welcher  in  seiner  ivs^ysioc  \J>u%»i5-  v.otr  oc^erriv 
und  also  auch  in  seiner  Glückseligkeit  viel  beschränk- 
ter bleibt.    Nur  als  cl^x^v  im  Staat  kann  er  die  einige 
Tugend  des  ^^o^  und  der  isuvo^ct  auf  ihrer  hoch- 

sten  Stufe  üben. 

Es  ergiebt  sich  also,  dass  der  beste  Staat 
derjenige  sein  muss,  in  welchem  alle  oder  mög- 
liehst  viele  die  vollständige  Tugend  üben 
und  dadurch  die  vollständige  Glückseligkeit  eriangen 
können.  Und  da  nicht  alle  gleichzeitig  cl^xo^rss 
sein  können,  so  müssen  sie  es  im  Wechsel  sein. 

Es  ist  nun  eben  im  siebenten  Buch,  wo  Aristo- 
teles die  Untersuchung  über  den  besten  Staat  an- 
fängt. Er  ineint  den  absolut  besten  Staat. 
Denn  über  den  bedingt  besten,  den  allgemein 


38 

besten,  den  relativ  besten  hat  er,  wie  wir  ge- 
sehen,  schon  im   vierten  Buch  geredet,  und  darauf 
bezieht  sich,   was  er  Buch  7,  4.  im  Anf.  sagt:   tts^] 
reis  äKXcts  TtoKirelots  rffxiv  Teöeoi^sroct  K^orsqov.    Zuerst 
nun  fragt  er,  welches  Leben  das  wünschenswertheste 
sei,  und   ob  dieses  dasselbe   sei  fttr  den  Einzelnen 
und   die   Gesammtheit   oder   nicht?     Er  antwortet: 
„indem    wir   der  Meinung   sind,    dass    auch 
von    dem,    was    in   gewöhnlicher  Unterhal- 
tung vorkommt   (k«J   rZv   ev  rols  il^oDrsqmols 
Koyoi^)f  vieles  hinreichend  über  das  beste 
Leben    gesagt   wird,    haben  wir   davon   Ge- 
brauch zu  machen.    Denn  wahrlich  in  Beziehung 
auf  Eine  Unterscheidung  ist  niemand  in  Zweifel, 
dass   nämlich   die   drei  Arten  der  Gilter,    die  äus- 
seren,   die    des    Körpers    und    die    der    Seele 
sämmtlich  den  Glückseligen  zukommen  müssen.  Wer 
von    den   Gütern   der    Seele  gar  nichts,    auch  nicht 
einmal  in  einem  geringeren  Grade  besitzt,  wer  sich 
vor  einer  vorbeisuumienden  Fliege  fürchtet,  aus  Be- 
gierde   nach    Speise   und   Trank   nach  jedem  greift, 
um  eines  Hellers  willen  seinen  besten  Freund  verdirbt, 
und  nicht  mehr  Verstand  hat,  als  ein  Kind  oder  ein 
Wahnsinniger,  den  freilich  hält  niemand  für  glück- 
selig.   Allein  die  Menschen  (wenn  sie  auch  die  Güter 
der   Seele  för   die  Glückseligen  fordern)   halten  oft 
ein  sehr  geringes  Maass  von  Muth,  Mässigung,  Ge- 
rechtigkeit  und  Weisheit   für  hinreichend,   dagegen 
streben   sie   die  äusseren  Güter  bis  in's  Unendliche 
zu  vermehren.     Wir   aber  sagen  ihnen,   sie  können 
sich    darüber    leicht    durch    die    Erfahrung    eines 
Besseren  belehren,  da  sie  sehen,  dass  sie  nicht  die 
Tugenden   dnrcli   die   äusseren  Güter  erlangen    und 
bewahren,  sondern  diese  durch  jene;    und  dass  die 


39 

Glückseligkeit  im  Leben,  mag  sie  nun  in  der  Freude 
oder   in  der  Tugend  oder  in  beiden  bestehen,  viel- 
nu-hr  denen  zu  Theil  wird,  welche  durch  Sittlichkeit 
und  Weisheit   bis    zum   üeberschwänglichen   ausge- 
zeichnet  sind ,    und  an  äussern  Gütern  ein  geringes 
Maass  besitzen,  als  denen,  welche  von  letzteren  mehr 
haben,  als  nutzbar  ist,  von  den  ersteren  aber  weniger. 
Aber  (ausser  der  Erfahrung)  lehrt  die  begriffsmässige 
Betrachtung  dasselbe.  Denn  die  äusseren  Güter  haben, 
wie  jedes  Werkzeug,  ihre  Grenze,   worüber  hinaus 
sie    nothwendig    schaden,    oder    wenigstens   nichts 
nützen.    Die  Güter  der  Seele  aber,  je  überschwäng- 
licher  sie  sind,  desto  nützlicher  sind  sie,  wenn  von 
diesen  -besagt  werden  darf,  nicht  nur  dass  sie  edel, 
sondenr  auch  dass  sie  nützlich  sind.    Und  wenn  die 
Seele    sowol    überhaupt    als   auch  jedem  Einzelnen 
höher  zu  schätzen  ist  als  der  Körper  und  die  äusseren 
Güter,  so  steht  auch  der  beste  Zustand  eines  jeden 
der  drei  in  demselben  Verhältniss". 

Dass  nun  einem  jeden  in  dem  Maasse  Glück- 
8eli<rkeit  zukommt,  in  welchem  Tugend  und  Weisheit 
und^  diesen    entsprechendes   Handeln,    das  sei   uns 
ausgemacht ,   indem  wir  Gott  zum  Zeugen  nehmen 
der    glückselig    und    selig    ist    nicht    durch    irgend 
welche   äussern   Güter,    sondern    durch    sich   selbst 
und    sein    eigenes   Wesen.    -     Es    folgt    aueh   mit 
Nothwendigkeit,  dass  das  Glück  ein  ande  res  ist, 
als  die  GUukseligkeit,    denn  die  äusseren  Güter 
sind  abhängig  von  dem  Zufall  und  dem  Glück    ge- 
recht   aber    oder   massig   ist   niemand   durch  Zufall 
oder  Glück.    —     Wie   nun  das  Leben  der  Tugend- 
haften das  glü.kselige  Leben  ist ,  so  sind  aus  dem- 
selben Grunde  der   beste  Staat  und  der  glückselige 
identisch.     Denn  es   ist   unmöglich,   dass   der  Staat 


40 


im  guten  Zustande  sei,  wenn  er  nicht  gut  handelt. 
Keine  Handlung  weder  des  einzelnen  Mannes  noch 
des  Staats  kann  gut  sein  ohne  Tugend  des  Handelns 
und  Denkens.  Die  Tapferkeit,  die  Mässigung,  die 
Gerechtigkeit  und  die  Weisheit  des  Staats  haben 
dieselbe  Bedeutung  und  in  der  Ausübung  dieselbe 
Form,  deren  theilhaft  der  Einzelne  tapfer,  massig, 
gerecht  und  weise  genannt  wird.  So  viel  sei  über 
die  Frage,  welches  das  beste  Leben,  „b  e  v  or  wo  rt  e  t ". 
Alle  zur  Sache  gehörigen  Betrachtungen  anzustellen, 
ist  Aufgabe  einer  andern  Untersuchung.  Für  jetzt 
stehe  fest,  dass  das  beste  Leben  sowol  für 
den  Einzelnen  als  gemeinschaftlich  dem 
Staat  dasjenige  sei,  welches  in  Verbindung 
mit  der  Tugend,  soweit  mit  Mitteln  aus- 
gestattet ist,  als  erforderlich  zur  Ausübunt^ 
der  Tugend". 

Das  also  ist  die  Antwort  auf  die  erste  Frage: 
zum  besten  Leben,  welches  lilr  den  Einzelnen  und 
den  Staat  auf  der  Tugend  beruht,  sind  die  äusseren 
Mittel  nothwendig,  soweit  sie  eine  Bedingung  der 
Ausübung  der  Tugend  sind.  —  Es  fragt  sich  aber 
ferner,  ob  auch  die  Glückseligkeit  des  Einzelnen  und 
des  Staats  dieselbe  ist.  Abgesehen  von  denen, 
welche  die  Glückseligkeit  in  die  äusseren  Güter,  in 
Reichthum  setzen,  giebt  es  andere,  welche  eine  ein- 
zelne Tugend,  die  Tapferkeit,  welche  Macht  über 
Andere  verleiht,  zur  Bedingung  der  Glückseligkeit 
machen.  Beide  stellen  dieselbe  Bedingung  für 
die  Glückseligkeit  des  Einzelnen  und  des  Staats.  Es 
wäre  aber  auch  möglich,  dass  die  Tugend,  worauf 
die  Glückseligkeit  des  Einzelnen  beruht,  eine  andere 
sei,  als  die,  worauf  die  Glückseligkeit  des  Staats, 
jene    auf  der    dianoeitischen   Tugend    der   Weisheit^ 


I 


I 


diese  auf  der  praktischen  Gesammttugend.    Es  fragt 
sich  also,    ob    das  glückselige  Leben  des  Einzelnen 
in  dem  praktischen  Leben  des  Staatsbürgers  oder 
in  dem  theoretischen  Leben  des  Weisen  bestehe, 
und  dem  analog,  ob  es  allen  wünschenswerth  sei, 
am  Staat  sich  zu  betheiligen,  und  zwar  den  meisten, 
einigen  aber  nicht     Die  Antwort  lautet  (nicht  ohne 
Rücksicht  auf  Ethik  10,  7  u.  8):    sofern  die  Glück- 
seligkeit   in   der  Thätigkeit,    im    Handeln  nach  der 
ganzen  Tugend  besteht,  ist  nothwendig  das  prak- 
tische (d.  i.  das  politische)  Leben  für  jeden  Einzelnen 
und    fi\r    den    Staat  das  beste.     Die  üebung  der 
ethischen  Tugenden  ist  überhaupt  nur  möglich  in  dem 
praktischen  Staatsleben,  und  ist  dem  Menschen  als 
Menschen  naturgemäss  (oIvÖ^mti^os  (pv(rs$  ^Zov  ttoA/t/xov). 
Die  Gottheit  allein  ist  über  die  ethischen  Tugenden  er- 
haben und  lebt  ein  rein  geistiges  Leben.    Der  Mensch, 
der  Weise,   soweit    er   eines  solchen  Lebens  fähig 
ist,   geniesst   auch,   verglichen  mit  dem  praktischen 
Staatsbürger,  einer  reineren  Glückseligkeit,  —  allein 
ganz  fähig  ist  er  dessen  nicht,  weil  er  eben  Mensch 
und   nicht  Gott  ist  ([5^^»)  üi  —  l(p  Icrov  hi^xeroci 
d&uvocrl^eiv  koc)  ttocvtoc  Trotelv  Kecrd  tc  K^dncrrov  rZv  ev 
«Jrf  Nik.Eth.  10,  7.).     Es  ist  aber  nicht  nothwen- 
dig* dass  jeder  „Praktiker"  in  Beziehung  stehe  zu 
Anderen,  und  dass  nur  diejenige  Geistesthätigkcit 
„praktisch"  sei,  welche  ein  unmittelbares  Ergebniss 
des  Handelns  bezielt,  und  nicht  auch  und  vielmehr 
diejenige,    welche    durch    den    Gedanken    auch 
selbst  für  äussere  Handlungen  die  Stellung  des  ober- 
sten  Baumeisters   einnimmt.     Auch  Staaten  können 
für    sich   leben,   ohne   nach  aussen  zu  handeln  und 
können  in  ihren  Theilen  und  deren  in  gegenseitigem 
Verhältniss  stehenden  Vereinen  thätig  sein,  wie  das 


J 


•     42 

auch  ähnlich  in  jeden  einzelnen  Menschen  der  Fall 
ist.  In  völliger  Müsse  (^x^A?)  lebt  der  Gott  und 
da.  Weltall,  denen  nicht  auf  Aeusseres  gerichtete 
Handlungen  obliegen,  sondern  nur  die  ihnen  eigenen 
innerhalb  ihres  Wesens.  Für  den  einzelnen  Men- 
schen und  gemeinschaftlich  für  den  Staat  und  die 
Menschen  ist  das  beste  Leben  dasselbe  und  dieses 
Leben  ist  das  praktische". 

Aus  dieser  ganzen  Eutwickelung  ergicbt  sich 
zugleich,  was  Aristoteles  anderswo  (z.  B.  7,  14.  3,  4. 
3  ""iT)  bestimmt  fordert,  dass  die  Tugend  des 
.THten  Mannes  und  des  guten  Bürgers  die- 
selbe sei.  Nur  dadurch  ist  der  beste  Staat  möglich, 
denn  nur  der  in  dein  oft  erwähnten  Sinn  wahrhait 
gute,  tugendhafte  Mann  hat  zugleich  die  Eigenschaft 

des  «cxajv  und  des  d^xoiAtvos. 

Nachdem  er  also  dargethan,  dass  das  beste  Leben 
für  den  Einzelnen  und  den  Staat  dasselbe  sei,  und  dass 
dieses  für  beide  beste  Leben  nicht  Reichthum  oder 
Macht  oder  Anderes,  sondern  die  auf  derselben 
Tugend  beruhende  Glückseligkeit  sei,  wiederholt  er, 
dass  er  dieses  als  „Vorwort"  (7,  4.)  seiner  nun 
folgenden  Lehre  vom  besten  Staat  vorausgeschickt 
habe,  um  unter  der  Voraussetzung,  dass  die  äus- 
seren, jedoch  möglichen  Mittel  nach  Wunsch  vor- 
handen seien,    zu  zeigen,    wie  der  beste   Staat 

werde. 

Uebcr  die  wünschenswerthen  äusseren  Mittel, 

welche  natürlich  in  einem  ähnlichen  Verhältniss  /.u 
der  auf  der  Erziehung  beruhenden  geistigen  Bildung 
der  Staatsbürger  stehen,  wie  die  äusseren  Güter  zu 
denen  der  Seele,  spricht  er  Cap.  5  —  12.  Im  drei- 
zehnten Capitel  geht  er  über  zu  seiner  Aufgabe,  d.  h. 
zur  Bestimmung   des   riAos  selbst,   und  zur 


t 


I 


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fc^ 


43 

Betriichtuiig  der  Mittel,   welche  zu  diesem 
Ziel,    dem    besten    Staat  führen,    und  dieser 
Aufgabe   hat   er   in   dem    7ten  und  8ten  Buch  voll- 
ständig uenügt.    Eine  Fortsetzung  der  Paideia  für 
den  Bürger  findet  sich  in   der  Poetik   und  der  an 
dieselbe    sich   anschliessenden  Rhetorik,    vor   allem 
aber   in    der    Ethik.     Die  Einrichtung   der  Aemter 
u.  s.  w.  ergiebt  sich  vollständig  aus  der  ganzen  Po- 
litik, und  bedurfte  keiner  wiederholten  Behandlung. 
Dass  die  Frage,  nach   dem  besten  Staat  unter 
den    Griechen    lange    vor    Aristoteles    eine    vielbe- 
sprochene war,  bedarf  wohl  keines  Beweises,  selbst 
für    diejenigen  nicht,    welche    in    ihrer   Vorstellung 
dieBevölkerungGriechenlands  und  namentlich  Athens, 
unter  der  Aristoteles  lebte,   bis   auf  und  selbst  bis 
unter   die    Bildung    des   grösseren  Theils    der  Be- 
völkerung unserer  Staaten  hinabzudrücken    geneigt 
sind.     Herr   Bernays  -stellt   Berlin   und  Paris  Athen 
gegenüber  und  redet  von  gewöhnlichem  Salons - 
I)ublicum.    Allein  das  gewöhnliche  Salonspublicum 
in  Athen  waren    die  Bürger  von  Athen  und  Attika, 
ihre  Salons  waren  die  Stoön  und  die  Agora.    Unter 
ilnien    befanden     sich    sehr    viele,    die    durch    eine 
glückliche  Choregie   der  äusseren  Mittel,   unbe- 
hindert   durch    banause    Geschäfte    oder    durch 
theures    Leben,    gehoben    durch    eine     allgemeine 
wissenschaftliche,  künstlerische  und  politische  Bildung 
ihres  Zeitalters,  wovon  sich  das  unsrige  keine  Vor- 
stellung macht,  geschweige  denn  sie   erreicht,    sich 
(wie  wir  aus  den  Dialogen  des  Plato  selbst,  aus  den 
Symposien,     aus    unzähligen     Zeugnissen     ersehen), 
niit  i-anz  anderen  und  würdigeren  Gegenständen  in 
ihren  Unterhaltungen  beschäftigten,  als  unser  heutiges 
"•cbenedeites  Salonspublicum,  welches  höchstens  das 


44 

„Interessante"  des  laufenden  Tages   bespricht,  aber 
blasirt  gegen   alles  Höhere  jede  Unterhaltung  über 
ernstere  Gegenstände   von  allgemeinerem  Charakter 
vermeidet,   aus  Furcht  sich  in  der  „Gesellschaft"  zu 
„compromittiren."     Das  Salonspublicum  hält  es  frei- 
Lh  wohl  heute  hi  grossen  und  kleinen  Städten  für 
ungebildet,    ein    ernstes    Gespräch    über   Gott    und 
Welt  zu  führen,  über  Religion,  über  die  Seele  und 
dass  ihre  Güter  höher  gelten  sollten  als  der  Gewinn 
aus   Fabriken    und   Börsenspiel,    über  Tugend    und 
tugendhaftes    Leben    und    dass    darin     das    beste 
Leben    zu    setzen,    über    den   höchsten    Zweck  des 
Staats,  und  wie    er  zu    erreichen,    und    wie  zu  be- 
wirken, dass  der  brave  Mann  und  der  gute 
Bürger    derselbe    seien,   und   dass   die  Regie- 
renden nicht  von   dem    „guten   Bürger"   verlangen, 
was  der  „brave  Mann"  nimmer  verantworten  könnte. 
Alles    dies   und  Aehnliches    vermeidet    das    Salons- 
publicum, nicht  weil  es  Gegenstände  der  Schulweis- 
heit sind,  sondern  weil  zur  Besprechung   derselben 
nicht  nur  ein  gebildetes,  sondern  auch  ein  natürliches, 
unblasirtes,  unemancipirtes  Publicum  gehört,  welches 
nicht  geistreich  zu  sein  meint,  wenn  es  aus  jedem 
Ernst   einen  Scherz  macht,  nicht   witzig,    wenn   es 
über  den  Abwesenden  herfällt,  nicht  um  ein  Lachen 
zu  erregen  selbst  den  Freund  preisgiebt,  und  nicht 
seiner  Herzensgüte  genügt,  wenn  es  im  Mitleid  mit 
grossem  Unglück   durch   kleine    Spende   die   Forde- 
derung    sämmtlicher   Cardinaltugenden    und   einiger 
anderer  erliillt  zu  haben  meint. 

Wie  scharf  der  Gegensatz  von  damals  und  jetzt 
ist,  das  zeigt  sich  deutlich  in  dem  oben  angeführten 
Ausspruch  des  Philosophen  „nicht  damit  wir  wissen, 


.tf3* 


45 

was    die   Tugend   sei,   stellen    wir    diese    (ethische) 
Betrachtung  an,  sondern  damit  wir  gut  werden;  sonst 
wäre  sie  unnütz."    Welcher  Philosoph  schreibt  heute 
eine  Ethik,    damit   die  Menschen   gut   werden?     l^s 
ist  uns  in  der  Gegenwart  lebenden  die  Naivität  des 
Daseins  abhanden  gekommen.    Wir  stellen  uns  über- 
all ausser  der  Sache,  haben  überall  die  Kritik  zur 
Hand  -  und  wie  gerne  wir  uns  davon  frei  machten, 
wir  können    es    nicht    -    ja   wir    glauben    unsere 
creisticre  Freiheit  zu  verlieren,  wenn  wir  nicht  neben 
dem    Gegenstand    unserer    geistigen    Beschäftigung 
unser  geistiges  Ich  im   gesonderten  Bewustsein  be- 
wahren und  meinen  nur  zu  leicht,  dann  recht  im 
Besitz  der  Freiheit  und  Ueberlegenheit  des  Geistes 
zu  sein,   wenn  wir  das  Andere   herabbringen.     Wir 
werden  nur  dann  natürlich  und   wahrhaft  froh  und 
frei   wenn  wir  uns  einmal  selbst  vergessen.    Gleich- 
wohl bleibt  es  wahr;  es  ist  viel  leichter,  ausser  der 
Sache  zu  bleiben,  als  darin   zu  sein.    Das   aber  ist 
nicht   der  letzte  Reiz   des   Griechischen  Alterthums, 
die  Wahrhaftigkeit    in  dem  ganzen   Geschlecht. 
Was  sie  liebten  und  was  sie  hassten,  was  ihnen  Ernst 
war  und  was   ihnen  Spiel,    sie    waren    ganz  dann. 
Und  so  auch  in  ihren  staatlichen  Beziehungen.    Die 
Bevölkerung  eines  Staats,  welche  in  ihrer  Gesammt- 
heit  gebildet  genug  war,  dass  sie  Jahrhunderte  hin- 
durch die  Aemter  jährlich  aufs  Neue  durchs  Loos 
vertheilen  konnte,  sollen  wir  die  eintheilen,  wie  Herr 
Bernays  etwa  die  Gebildeten  unserer  Staaten,  m  eme 
Anzahl  Philosophen  und  in    ein  „Salonspubhcum"? 
Sollen  wir  annehmen,  wer  nicht  bei  den  Philosophen 
in  die  Schule  ging,  der  habe  nicht  zu  unterscheiden 
gewusst  zwischen  den  Gütern  der  Seele,  des  Körpers 
und  den  äusseren  Gütern? 


46 

Um  aticr  «Heh  im  Einzelnen  nachzuweisen,  dass 
iene  Eintheilung  der  OfUer  keinesweges  eine  „eigent- 
lich   ..der    "ar    ausscblio-sslich"    (»eripatetische    war, 
wollen    wir"  uns    zuerst    auf  den   Aristoteles   selbst 
berufen.     In  der  Ethik  1,8  sagt  er:  „nicht  nur  aus 
der  Schlussfolgerung  und  aus  dem  Begriff,  sondern 
auch    aus   dem,  was  darüber   gesprochen   wird, 
ist  die   Betrachtung    über    die   Glttckseligke.t  abzu- 
leiten.*)     Denn    mit    der    Wahrheit    stimmt    alles 
Wirkliche  überein,  dem  Unwahren  widerspricht  als- 
bild  die  Wahrheit.     Indem  nun  die  Güter  dreifach 
eincretheilt  werden,    und    einige    äussere    genannt 
werden,   andere  dem  Körper,   andere   der  Seele 
.ehöri-    nennen  wir  die  der  Seele  die  höchsten  und 
vorzüglichsten.    Die   Handlungen   und  Seelenthät.g- 
keiten  legen  wir  der  Seele  bei,  so  dass  also  richtig 
„osprochen  ist  nach  dieser  Ansicht,  welche 
alt     ist    und     von     den    Philosophen    ge- 
billigt."**) 

In  der  Ethik  7,  14  heisst  es,  nachdem  bemerkt 

worden,  dass  alle  das  glückselige  Leben  für  ange- 
nehm halten,  -  „daher  bedarf  der  Glückselige  der 
Güter 'des  Körpers  und  der  äusseren 
Güter,  damit  (die  Thätigkeit  der  Seele  und  die 
vollkommene  Glückseligkeit)    unbehindert    se..« 


oLel  »nnr  x«a  «^^«.  Man  bemerke,  da««  «he  Vergle- 
chung  der  Stelle  der  Politik  über  die.clbe  Lmthodung 
daraufführt,  das  obige  äU,\  x«J  U  räy  UYOfify»y  »»W 
„iint  gradezu  zu  erganzen  durch  ty  toU  «««e."rf  A»r<»f- 

••)  wffT«  xnicöf    Sy  i/ye»«  «otk  ye  rair^y  ti,V    rföS«»-    »«- 
iK,,iy  oiaay  xc«  i(i»Uy,„i.(y>,y  ini  täy  ^aooofoiytm: 


» 


47 

Endlich  fordert,  ganz  in  Uebereinstimmung  mit 
unserer  Stelle  in  der  Politik,  die  Ethik  10,  9  aueh 
für  die  Glückseligkeit  des  Weisen  (der  ein  theo- 
retisches  Leben  lebt),  sowohl  die  Güter  des  Korpers 
als  auch  äussere  Güter,  da  es  nicht  möglich  sei, 
ohne  diese  glückselig  zu  sein,  wenn  auch  em  ge- 
ringes Maass  genüge,  wie  auch  Solon  ein  be- 
scheidenes Maass  der  äussern  Güter  für  die  Gluck- 

seligen  verlangt  habe.*) 

^Jene  alte  Eintheilung  der  Güter,  die  also  schon 

Solon  anerkannt  hatte,  war  auch  von  andern  Phio- 
«nnhen   gebilligt.     Wahrscheinlich  hatte   Aristoteles 
derermfhrl'nennen  können.    Ohne  Zweifel  dachte 
er    aber    auch    an    Piaton.      In    den    Gesetzen    3^ 
p    697   b.    zählt    dieser    dieselben    drei    Gattnngen 
der  Güter  auf,    womit   die   achte  Epistel  p.  355  b 
übereinstinunf,  und  in  der  Apologie  p.  30  a.  b.  spricht 
Sokrates  zu  den  Athenern:  „auf  nichts  anderes  bm 
ich  bedacht  bei  meinem  Umhergehen,  als  die  Jüngeren 
und  die  Aeltercn  unter  Euch   zu  überreden ,   weder 
für  den  Körper  noch  für  Vermögen  (x?*IH«r«v) 
früher  noch   so   sehr  Sorge   zu  tragen,   als  für  die 
Seele,   dass  sie    möglichst    gut  werde,  indem    ch 
lehre,   dass   nicht   aus  Vermögen  Tugend   entstehe 
sondern    aus   Tugend    Vermögen    und    die    übrigen 
Güter  insgesammt  den  Menschen   zu  The.l  werden, 

n.,«  4-vJ  x„i  r,o,nrx.i  .^.  .o.„V*.,«»-« 

::;,L.  (z«  ^..»  -rgi.  poi.  1. 1.  »*  «^  .»ox...... 


48 

söwol  eigene  ak  staatliche."  Man  sieht,  wie  nahe 
sich  Aristoteles  in  unserer  Stelle  an  diese  Worte 
des  Sokrates  anschliesst. 

Dass,  wie  es  scheint,  Aristoteles,  dem  die  Aus- 
drücke xfif^ÄT«,  euV/«,  TtKoZros  für  alle  Güter  ausser 
denen  des  Körpers  und    der  Seele   nicht    genügten, 
vielleicht  zuerst  den  Ausdruck  r»  hros  gebrauchte, 
ändert  natürlich  an  dem  Alter  der  Eintheilung  nichts. 
Er  bezeichnet  die  äusseren  Güter,  deren  der  Glück- 
selige in   geringem  Maasse   bedürfe,    in    der  Ethik 
10,  d,  durch    ri\v    r^o^i\v    xa*    njv    ihMv    ös^ctTtslotv^ 
öfter  durch  die  „Choregie,"  fjisrfta)^  rois   hro^   xfxo- 
^Tifjthovs.    Die  Eintheilung  der  Güter  selbst  findet 
der  Verfasser   der  Schrift  de  vita   et   poäsi  Homeri 
(Plut.   ed.  Hütten  Vol.  XIV.  §  141)    schon    in    der 
llias.     Es  wird  nun  wohl  nicht  nöthig  sein,  auf  die 
künstliche    Ausführung    des    Herrn    Bernays    näher 
einzugehen,  der  mit  ausserordentlicher  Beredsamkeit 
sich  bemüht  zu  rechtfertigen,  was  nicht  ist,  nämlich 
„die   graciöse  Demuth(!),    mit   der  Aristoteles   hier 
um  Erlaubniss(!)  ersucht,  doch  wenigstens(!)   eine 
Eintheilung  anbringen  (!)  zu  dürfen."  —  Wir  gehen 
zum  Folgenden. 

V.   Eudem.  Ethik  9,  1.     Die  Güter. 
Diese  Stelle  findet   durch   das   über  Polit.  7,  1 
Gesagte  ihre  vollständige  Erledigung. 

VI.  Physik  4,  10.  Die  Zeit. 
Im  vierten  Buch  der  Physik  handelt  Aristoteles 
vom  Raum,  von  dem  Leeren  und  von  der  Zeit  und 
der  Bewegung.  Nach  seiner  bekannten  Methode 
geht  er  aus  von  dem  uns  Bekannten  zu  dem  Unbe- 
kannteren.    In  der  Untersuchung  über   den   Raum 


49 

beruft   er   sich   im    Isten  Capitel   drei  Mal    darauf, 
dass  alle  annehmen,  alles  sei  im  Raum  und  der 
Raum  sei  etwas,   ein  Seiendes;   es  frage  sich  aber, 
was  er  sei.     Ebenso   verfährt  er  rücksichtlich    des 
leeren  Raums.     Es  frage  sich,  ob  er  ist  oder  nicht, 
und  wenn  er  ist,  wie  und  was  er  ist.    Bei  der  ersten 
Frage    sei    zu    berücksichtigen    (cap.    6)    was    die 
Menschen   (ol   ävö^arTrot)   unter   dem  Leeren  ver- 
stehen.    Anaxagoras  sei  darüber  im  Irrthum,  indem 
er  beweise,  dass  die  Luft  etwas  sei.   D  i  e  M  e  n  s  c  h  e  n 
aber  verständen  unter  dem  Leeren  einen  Raum,  in 
welchem  gar  kein  erkennbarer  Körper  sei.     Im  An- 
fang des  7.  Cap.  fügt  er  noch  hinzu,    man    müsse 
zur    Entscheidung    über    die    Frage,    ob    der   leere 
Raum   sei  oder  nicht,  wissen,  was  das  Wort  (das 
Leere)  bedeute.    Es  werde  aber  angenommen  (SoKsi) 
das  Leere  sei  ein  Raum,  worin  nichts  ist. 

Es  ist  nun  schon  an  sich  wahrscheinlich,  dass 
Aristoteles  eben   so  von  einer  allgemeinen  Ansicht 
ausgehen    werde    bei    der    Untersuchung    über    die 
Zeit.     Und  so  thut  er  auch.    Zuerst  sei  es  zweck- 
mässig,   die    Schwierigkeiten    auch    vermittelst    der 
ausserphilosophischen  Ansichten   durchzugehen,    ob 
die  Zeit  zu  den  Seienden  oder  zu  den  Nicht-Seienden 
gehöre ;  dann  zu  untersuchen,  was  sie  sei.     (tt^Stov 
x«X(Sf  sx^i  iM7fo^(roci  Tre^)  otCroZ  koc)  Sm  T(2v  l^ajre^tKm 
Koy^v  'nirsqov  rZv  ivrm  lariv  y\  rZy  fxYi  ovtööv,  fTra  rli' 
fl   (pJcr/f   ccvro^.      Die    nicht- philosophische    Ansicht 
sagte:    die  Zeit    ist    entweder   gewesen  oder   sie  ist 
noch  nicht;  das  jetzt,   ist  nur  die  Grenze  zwischen 
Vergangenheit  und  Zukunft,  aus  denen  die  Zeit  be- 
steht, da    aber    die   Vergangenheit  eben    so  wenig 
ist  als  die  Zukunft,  und  diese  beide  Nicht-Seiendes 
sind,  so  ist  es  unmögücb,  dass  die  Zeit  ein  Seiendes 


50 

sei.  Auch  ist  das  Jetzt,  welches  Nichts  ist,  weder 
stets  ein  anderes  Seiendes,  noch  ist  es  ein  Dauerndes. 
Auch  in  diesen  Ansichten  ist  doch  wohl  nichts  so 
Ausserordentliches,  dass  sie  nicht  auch  ausser  der 
Schule  Gegenstand  des  Gesprächs  gewesen  wären. 
Indessen  ist  das  Meiste  auch  in  der  ersten  Hälfte 
dieses  Capitels  das  itecTro^trcci  des  Aristoteles  selbst. 
Die  Aporie  selbst  besteht  darin,  dass  die  Zeit  zu- 
gleich ein  Seiendes  und  ein  Nicht-Seiendes  zu  sein 
scheint.  Die  exoterischen  Ansichten  leugneten  das 
Sein  der  Zeit,  da  sie  stets  entweder  gewesen  ist 
oder  noch  nicht  ist,  das  Jetzt  aber  nie  bleibend  ist. 
Vermittelst  dieser  exoterischen  Ansicht  und  gleich- 
sam durch  sie  hindurch  löst  Aristoteles  vor- 
läufig die  Aporie  in  dem  Sinn,  dass  die  Zeit  ent- 
weder überhaupt  nicht  zu  den  Seienden  gehöre,  oder 
kaum  und  undeutlich.  Dann  geht  er  über  zu  der 
Frage,  was  sie  ist,  und  kommt  schliesslich  zu  dem 
Resultat:  sie  ist  das  Maass  der  Bewegung. 

VII.  Metaphysik  13,  1.     Die   Ideen. 

In  Beziehung  auf  diese  Stelle  (deren  Echtheit 
ja  übrigens  auch  bezweifelt  wird),  welche  die  Lehre 
von  den  Ideen  betrifft,  und  welche  dem  Verfasser 
der  Endemischen  Ethik  (1,  8)  vorgeschwebt  hat, 
möchte  es  wohl  rathsam  sein,  zuerst  einmal  die 
Ausdrucksweise  des  Aristoteles  näher  Anzusehen: 
hretra  ixercc  recvrcc  %<wf)i'  ^ffJ  roov  mm  avrm  tiitKZs 
nm  oaov  vofxov  xei^tv*  rsB^vXfirect  y«f  rcc  Tfoh^^M 
Kcti  V7F0  r£y  i^torefiKSv  Aey<wv.  < 

Das  Wort  aTsKois  erklärt  Bernays  wohl  mit 
Recht  durch  „im  Allgemeinen"  nach  Polit.  8,  7  wo 
dasselbe  dem  aa(f>i^B^ov  entgegengesetzt  wird.  Eine 
Bestätigung   dieser  Erklärung   giebt  das  xrwrifji«)^ 


l 


51 

in  der  Eudem.  Eth.  1,  8  und  besonders  der  Schluss 
des  5.  Cap.  im  13.  Buch  der  Metaphysik  «M«  ■ns?) 
,jih  rZv  l^tZv  V.CU  Twrev  TW  TfoVov  mu  ii»  XoyiKoire^m 
M.)  »)cf;/3f<7ri?<»v  hiycov  hr,  'XoXXa,  uxivuyMyüv   oixoi» 

rois  Tsösa^tifthoit.        -  ,        •  u 

Der  Ausdruck  vi/xav  %»f<v  dagegen  möchte  sich 
wohl   nicht  so   ohne   Weiteres  durch  „dicis   causa" 
wiedergeben    lassen.     Der  Mensch    thut    oft    etwas, 
nicht  aus  freiem  Willen,  sondern  weU  er  muss  „des 
Gesetzes    wegen."     Eine  Berufung  auf  das    Gesetz 
bei  einer  Handlung  hat  leicht  die  Bedeutung,  dass 
die  Handlung  ungern  geschieht,  da  bei  einer  gerne 
vollbrachten  gesetzlichen  Handlung  die  Berufung  auf 
das  Gesetz    den    Werth    der    Handlung   herabsetzt. 
Aber  angewandt  auf  eine  Handlung,   die    gar  nicht 
von  einem  Gesetz  gefordert  wird,  enthält  der  Aus- 
druck „des  Gesetzes  wegen"  eine  absichtliche  Ueber- 
treibung,  oder  einen  absichtlich  angeführten  falschen 
Grund  zu  dem  in  Wahrheit   ungern  Gethanen. 
Einem  solchen  absichtlich  und  mit  Bewustsein  ange- 
führten falschen  Grund  mischt  sich  dann  leicht  eine 
Ironie  bei.     So  sagt  der  schlaue  Koch  in  des  Diphi- 
los  Zographos  bei  Athenäus  7  p.  292.,   er  bediene 
keinesweges  jeden,   der  ein  Gastmahl  geben  wolle, 
sondern  prüfe  erst,  wer  er  sei,  woher  er  sein  Mahl 
bestreite,  und  welche  Gäste  er  einlade;  er  habe  eine 
Charakteristik  aller  Gattungen  von  Gastgebern,  denen 
er  sich  vermiethen  oder  vor  denen  er  sich  hüten 
solle:  „zum  Beispiel  die  Gattung  der  Schiffspatrone; 
da  ist  Einer,  der  giebt  einen  Opferschmaus,  nachdem 
er  grosse  Havarie  erlitten;  den  lass  ich  laufen;   ein 
solcher  thut  nichts  gerne,  sondern  nur  wie  des  Ge- 
setzes wegen :  oviiv  0a>s  Ttoiei  V»?  ovros ,   (»A^'   oaov 
yiljuv  x«f<v".  —    In    eü»em   ähnlichen,    entschieden 


52 


ironischen  Sinn  scheint  der  Epigrammatiker  Lukillios 
(Brunck  Analekt.  2.  p.  335)  den  Ausdruck  yifxov 
X»ftv  (ohne  oaov)  zu  gebrauchen: 

ähXoc  Ksyei  MfVfxXn^,  äXKoc  ro  xotflStov- 
Vergl.  Antholog.  Lukianos  Epigr.  XIV.  und  Lukillios 
Epigr.  XXV. 

Nach  diesen  Beispielen  scheint  in  unserer  Stelle 
Aristoteles  sagen  zu  wollen:  ich  werde  über  die 
Ideen  ungern e  sprechen,  es  soll  daher  kurz  ge- 
schehen und  wie  um  dem  Gesetze  zu  genügen. 
Denn  breitgetreten  ist  das  Meiste  über  diesen 
Gegenstand  selbst  von  (!)  den  Gesprächen  ausser 
der  Schule".  —  Dies  nämlich  ist  die  Bedeutung  von 
redfvKfirar-  „breitgetreten",  nicht  aber  „durchge- 
sprochen". Ursprünglich  bezeichnet  sowol  d^ZXo^ 
als  ö^vhS  ein  undeutliches  Gemurmel,  verwandt  mit 
dem  Onomatopoietikon  r^oDy  und  drückt  sowol  das 
Unartikulirte ,  Unbestimmte,  als  die  Wiederholung 
aus.  In  der  Batrachomyomachie  134  heisst  es: 
TToBev  ^  arciais  fj  rU  o  ^fuAo^;  Hesychius  erklärt  es 
durch  y\/i^v^t(rfÄO(ry  und  Suidas  durch  ifjit\ia  fxfi  (pavs^Zs 
yivofjihfj*  Aristoph.  Ritter  348  rfjv  vvKrec  ö^vXSv  kx) 
hothSv  €v  rcüs  iiois  asuvrZ*  Wegen  der  mit  solchem 
Gemurmel  verbundenen  Unklarheit  wird  das  Verbum 
auf  mythische,  fabelhafte  Erzählungen  angewandt; 
wegen  der  mit  dem  Gemurmel  verbundenen  Wieder- 
holung tritt  dagegen  dieser  letztere  Begriff  öfter 
besonders  hervor.  Isokrates  Panathenaikos  §  237 
%m\  r»  fAvBoiin  Tre^t  «üTni"  (rti^  TfoXeoos)  i^sis^  »  Ttcivris 
B^vXovatv.  Plut.  Selon  4  in  Beziehung  auf  den 
angeblich  von  einem  Weisen  zum  andern  gesandten 
Dreifuss:  rccZr«  vtto  'nKetivmv  T9^fvKiireci-  In 
wegwerfendem  Ton  sagt  Demosthenes  vom  Midias 


9 


53 

(§  160)  'AAA«  vij  A/«,  r^m^  eTtiLKsv'  rocvtriv  yd^  olf 
ort  d^ votiere h     Es  ist  aber  einleuchtend,  dass  nicht 
leicht  jemand   von    sich   selbst  und   seinen  eigenen 
Schriften  oder  Reden  dieses  Wort  gebrauchen  wird. 
Nur  einmal  scheint  es  so  vorzukommen,  und  zwar  beim 
Demosthenes.  In  der  Rede  über  die  trügerischcGesandt- 
Schaft  §  156  spricht  er  über  und  gegen  seine  Mitgesand- 
ten wie  folgt :  „Während  Philipp  im  Frieden  und  wider 
die  Verträge  sich  aUes  aneignete  und  ordnete,  sprach 
ich  viel  und  wiederholte  es  unablässig  (ttoXXcc 
Xiyovrc^  IfxoZ  k«)  d^vKoZvros  ccei)  anfangs  um  meine 
Meinung  auszusprechen,  dann  um  jene  Unkundigen 
zu  belehren,  schliesslich  diesen  bestochenen  und  ver- 
ruchten Menschen  gegenüber  unablässig  drängend". 
Es  ist  klar,  dass  Demosthenes  hier  von  sich  selber 
ein  minder  edles  Wort  gebrauchte,  um  seine  unwil- 
lige Verzweiflung  auszudrücken,  die  ihn  dazu  trieb, 
unablässig   zu  wiederholen,  welche  Gefahren 
die  Zögerung  der  Gesandtschaft  über  Athen  brachte. 
Wer  wird  aber  glauben,  dass  Aristoteles  dieses  Wort 
auf  seine  eigenen  Schriften  hätte  anwenden  wollen? 
Und  hätte  er  es  gewollt,  dann  hätte  er  wahrlich  es 
nicht  in  Beziehung  auf  „exoterische  Schriften",  auf 
seine  „Dialoge"  gebrauchen  dürfen,  sondern  grade 
in  Beziehung  auf  die  wissenschaftlichen  Schriften,  die 
uns  erhalten  sind,  denn  in  diesen,  in  den  logischen, 
in  den  ethischen,  in  den  physischen  und  vor  allem 
in   der  Metaphysik  bekämpft  er  ja  eben  unablässig 
die  Ideenlehre;    und    Proklos   in   der  von   Bernays 
S.  152  citirten  Stelle  hätte  füglich  das  reB^v>^r]Tctt  rct 
TToXXd  auf  den  Aristoteles  anwenden  können;    Ari- 
stoteles aber  nimmermehr  auf  sich  selbst.    Vielmehr 
ist  nach  Allem  wohl  klar,  dass  Aristoteles  die  von 
ihm  bekämpfte  Ideenlehre,  die  ohne  Zweifel  in  den 


54 


55 


gebildeten  Kreisen  Athens  viel  besprochen  wurde, 
und  schwerlich  hier  die  Euthyne  bestand,  auch  durch 
dieses  Te^fuA»fT»<  u5re  t£v  i^cor-  xiyxv  in  einer 
Weise  gegen  namenlose  Nachtreter  verwerfen  wollte, 
die  er  gegen  den  Plato  und  zu  dessen  Lebzeiten 
nicht  wtlrde  angemessen  gefunden  haben. 

VIII.  Eudem.  Eth.  1,  8.    Die  Ideen. 

Der  Verfasser  dieser  Stelle  sagt,  wenn  er  kurz 
von  den  Ideen  sprechen  solle,  so  behaupte  er,  es  sei 
die  Lehre  von  dem  Sein  der  Ideen  eine  leere;  es 
sei  aber  auf  vielfache  Weise  sowol  in  ausser- 
philosophischen  als  in  philosophischen  Untersuchun- 
gen von  ihnen  die  Rede.  Die  Ausdrücke  kivZs, 
■noKKois  T ^0710 IS  i'nsaxeytTeu ,  neben  den  t^certPiKois 
Ae'yotf  finden  sich  in  den  betreflFenden  Stellen  der 
Metaphysik  13,  1,  4  und  5.  Doch  scheint  auch  das 
4te  Capitel  des  Isten  Buchs  der  Nikom.  Ethik  auf 
diese  Stelle  der  Endemischen  wesentlichen  Einfluss 
gehabt  zu  haben.  Im  Allgemeinen  hat  sie  keinen 
weiteren  Werth  in  Beziehung  auf  die  Bedeutung  der 
Exoterika,  da  der  Gegensatz  <,,'  x«t«  (ptXotroCplxv  Xiyoi 
sowohl  för  exoterische  Schriften  als  für  exote- 
rische  Gespräche   geltend  gemacht  werden  kann. 

Wenn  man  indessen  folgende  Stelle  der  Politik 
3,  12.  vergleicht:  iom  h  7[»<t,v  Srw  rt  ri  ikcciov, 
Koc)  fÄix?'Vf  rms  oiMXeytZiTi  ro~is  Kar»  <PiXeiro<pluv 
Xoyon,  so  wird  man  wohl  um  so  entschiedener 
der  Ansicht  sein,  dass  die  exoterischen  Reden  in 
demselben  Sinn  den  Ao'ywf  x»t«  <P/Ae(re<p;»v  entgegen 
gesetzt  sind,  wie  hier  jene  alle  (,r«<r,v  imei). 


IX.     Cicero. 
Wenn   auch   die  Nachricht,  dass   die  Peripate- 
tiker   der    ersten    Jahrhunderte    die    Schriften    des 
Aristoteles  nicht  besessen  und  daher  nicht   gekannt 
hatten,    nach    den    Nachweisungen    Stahrs    wohl 
sicher  der  Wahrheit  entbehrt,   so  ist  doch  so  viel 
klar,  dass  schon  durch  Theophrast  die  Ethik  jene 
Kraft  und  Strenge"  verior,  welche   der  Aristoteli- 
schen   eigen   ist    (Vgl.    Zeller   S.  685).      Ja,    wir 
möchten  sehr  bezweifeln,  dass  Theophrast  jene  Kraft 
und  Strenge   überhaupt   begriffen  habe.     Sein   Be- 
mühen   den  Werth  der  äusseren  Güter,  im  Gegen- 
satz der  gemässigten  Anerkennung  ihrer  Nothwen- 
digkeit  bei  Aristoteles,   als  eine  wesentliche  Bedin- 
gung   der  Glückseligkeit  besonders   hervorzuheben, 
spricht  nicht    dafür.     Wenn    nun    die  Neigung   des 
Theophrast   zum  theoretischen  Leben   die   äusseren 
Güter  hob  und  dagegen  die  Bedeutung  der  ethischen 
(praktischen)  Tugenden  zu  Gunsten  der  dianoetischen 
Tugend  des  vom  politischen  Leben  Zurückgezogenen 
abschwächte,   so  wich    in    entgegengesetzter  Weise 
Dikäarch  von  der  Lehre  des  Aristoteles  ab,  indem 
er  ohne  Glauben  an  die  Unsterblichkeit  der  Seele 
die    Glückseligkeit    scheint    ausschliesslich    m    das 
praktische  Leben  gesetzt  zu  haben. 

Fast  drei  Jahrhunderte  waren  seit  dem  lode 
des  Aristoteles  vergangen,  als  die  Philosophie  des 
Aristoteles  in  ihrer  allmäligen  Verflachung  durch 
die  Dilettanten-Rednerei  des  Cicero  in  die  Römische 
Literatur  eingeführt  wurde.  Madvigs  Ansicht  ist 
gewiss  die  richtige,  dass  Cicero  seine  Bekanntschaft 
mit  der  Aristotelischen  Philosophie  nur  aus  der  ab- 
geleiteten  Quelle   der  Vortrage   des  Antiochus   und 


50 

anderer  Griechischer  Philosophen  geschöpft.  Sagt 
er  doch  selber  in  der  zwei  Jahre  vor  seinem  Tode 
verfassten  Schrift  de  finibus  b.,  dass  er  in  die  Biblio- 
thek des  Lucullus  gegangen,  um  gewisse  Aristotelische 
Schriften,  die  er  also  in  seiner  reichen  Bibliothek  nicht 
besass,  zu  entlehnen,  da  er  grade  Müsse  habe,  sie  zu 
lesen,  was  selten  der  Fall  sei.  Und  in  demselben  Jahr 
gab  er  ausser  jenen  fünf  Büchern  folgende  Schriften 
heraus:  den  Orator,  die  Consolatio,  den  Hortensius, 
die  Akademischen  Quästionen,  die  laudatio  Portiae, 
die  Rede  pro  rege  Deiotaro.  Im  nächsten  Jahr 
folgten  diesen  die  Philippiken  I— IV.  Die  Tuskula- 
nischen  Disputationen,  de  natura  Deorum,  Cato  major, 
Laelius,  de  gloria,  Topica,  de  officiis,  de  virtutibus. 
Bis  zum  22.  April  hielt  er  die  Philippiken  V— XIV. 
Den  7.  Dec.  wurde  er  ermordet. 

Woher  sollte  er  nun  wohl  die  Zeit  gewonnen 
haben  zu  gleichzeitigen  gründlicheren  Studien 
in  den  Schriften  des  Aristoteles  neben  denen  des 
Plato,  Theophrast  und  anderer?  Selbst  jene  Angabe, 
dass  er  Schriften  des  Aristoteles  in  der  Bibliothek 
des  Lucullus  suchte,  gehört  offenbar  nur  zu  dem 
„mos  dialogorum,"  dessen  er  in  dem  Brief  an 
den  Varro  bei  Uebersendung  der  Academ.  quaest. 
gedenkt:  puto  fore,  ut,  quum  legeris,  mirere  id  nos 
locutos  esse  inter  nos,  quod  numquam  locuti  sumus; 
sed  nosti  morem  dialogorum." 

So  darf  man  wohl  mit  einem  gerechten  Zweifel 
an  die  Stellen  in  seinen  Schriften  gehen,  in  denen 
er  von  „exoterischen  Schriften"  des  Aristoteles  und 
von  seiner  Nachahmung  des  Aristoteles  in  deren 
Abfassung  spricht. 

Die  der  Zeit  nach  früheste  Stelle,  die  wir  zu 
betrachten  haben,  findet  sich  in  einem  Brief  an  den 


W^ 


<    ^ 


i 


57 

Lentulus  (ad  fam.  1,  9,  §  23)  aus  dem  Jahr  der 
Stadt  700.  —  Scripsi  Aristotelio  more,  quem- 
admodum  quidem  volui,  tres  libros  in  disputa- 
tione  et  dialogo  de  Oratore,  quos  arbitror  Lentulo  tuo 
fore  non  inutiles.  Abhorrent  enim  a  communibus 
praeceptis  atque  omnem  antiquorum  et  Aristoteliam 
et  Isocratiam  rationem  oratoriam  complectuntur. 
Bezieht  sich  diese  Aristotelische  Weise  auf  „in  dis- 
putatione  et  dialogo,  oder  auf  das  Folgende  abhorrent 
enim  a  communibus  praeceptis  atque  omnem  anti- 
quorum et  Aristoteliam  et  Isocratiam  rationem  ora- 
toriam complectuntur?  Letzteres  anzunehmen  würde 
uns  die  Verbindung  von  Aristoteles  und  Isocrates 
beim  Cicero  wohl  kaum  verhindern,  und  die  Ein- 
leitungsworte zu  dem  Dialog  des  Cicero  de  Universo 
könnten  dafür  sprechen.  Sie  lauten:  Multo  sunt 
nobis  et  in  Academicis  conscripta  contra  Physicos 
et  saepe  cum  P.  Nigidio  Carneadeo  more  et  modo 
disputata.  Hier  scheint  sich  der  Ausdruck  more 
nicht  auf  die  Form,  sondern  auf  den  Inhalt  zu  be- 
ziehen. Oder  war  der  iftos  Carneadeus  dem  Plato- 
nischen ähnlich?    Carneades  disputirte  wie  Socrates. 

Dass  Cicero  unter  Aristotelius  mos  einen  Vor- 
trag ohne  wiederholte  Unterbrechung 
durch  den  Dialog  versteht,  im  Gegensatz  der 
Platonischen  und  anderer  Dialoge,  ergiebt  sich  aus 
dem  Brief  an  den  Atticus  13,  19.  (a.  u.  709). 

Sunt  etiam  de  Oratore  nostri  tres  (libri)  mihi 
vehementer  probati,  in  eis  quoque  eae  personae 
sunt,  ut  mihi  tacendum  fuerit.  Crassus  enim  loqui- 
tur,  Antonius,  Catulus  senex,  C.  Julius  frater  Catuli, 
Cotta,  Sulpicius.  Puero  me  hie  sermo  inducitur,  ut 
nuUae  esse  possent  partes  meae.  Quae  autem  bis 
temporibus    scripsi,  'A^ta-rorsXetov  morem  habent,  in 


58 


59 


quo  sermo  ita  induoitur  ceterorum,  ut  penes  ipsum  sit 
principatus.     Ita  confeci  quinque  libros  ^r^fJ  WAöüv. 

Es  scheint,  als  habe  Cicero  sich  in  diesen 
scheinbar  sich  widersprechenden  Briefen  nur  unge- 
schickt ausgedrückt.  Der  mos  Aristotelius  besteht 
ihm  darin,  dass  Einer  in  ausführlicher  Rede  ohne 
dialogische  Unterbrechungen  einen  Vortrag  hält. 
In  der  Schrift  de  Oratore  redet  Crassus  bis  c.  46 
dann  bis  zum  Schluss  des  Isten  Buchs  Antonius. 
Im  zweiten  Buch  reden  Antonius  und  Cäsar;  im 
dritten  wieder  Crassus. 

Es  ist  eben  so  in  der  Schrift  de  finibus  nur 
mit  dem  rücksichtlich  der  Form  gleichgültigen  Unter- 
schiede, dass  Cicero  hier  selber  einer  und  der  haupt- 
sächlichste Redner  ist.  Man  würde  aus  diesen 
beiden  Stellen  nicht  geschlossen  haben,  dass  Cicero 
auch  in  den  kurzen  Einleitungen  eine  Nach- 
ahmung des  mos  Aristotelius  finde,  wenn  nicht  in 
einer  andern  Stelle  eines  Briefes  an  den  Atticus 
(4,  16)  eine  Andeutung  wäre,  dass  auch  Aristoteles 
in  den  Büchern,  die  er  e^oorgftKovs  nenne,  sich  der 
Proömien  bedient  habe.  Cicero  bemerkt  nämlich, 
er  könne  in  den  Büchern  de  republica  den  Varro 
nicht  als  theilnehmend  am  Gespräch  aufführen,  doch 
werde  er  auf  den  Rath  des  Atticus  versuchen,  ihn 
irgendwo  zu  nennen.  Itaque  cogitabam,  quoniam 
in  singulis  libris  utor  prooemiis,  ut  ' K^tarorkXns 
in  iis,  quos  f|a)Tff/xoüV  vocat,  aliquid  efficere,  ut  non 
sine  causa  ist  um  appellarem. 

Wir  wollen  diesem  gleich  eine  vierte  hieher 
gehörige  Stelle  aus  Cicero  de  finibus  5,  5  hinzu- 
i\lgen:  de  aammo  autem  bono,  quia  duo  genera 
librorum    sunt,    unum    populariter    scriptum    quod 


i^oorg^iMv  appellabant,  alterum  limatius,  quod  in 
commentariis  reliquerunt,  non  semper  idem  dicere 
videntur  (Aristoteles  et  Theophrastus).  Fassen  wir 
nun  den  Inhalt  aller  vier  Stellen  zusammen,  so 
scheint  sich  Folgendes  als  die  Meinung  des  Cicero 
au  ergeben. 

Aristoteles  schrieb  ausser  den  von  ihm  hinter- 
lassenen  systematischen  Schriften  (commentarii) 
auch  s.  g.  exoterische  in  populärer  Form.  Diese 
hatten  Proömien  (ad  Atticum  4, 16)  Nach  diesem  Vor- 
bilde bediente  sich  auch  Cicero  der  Proömien  vor  den 
einzelnen  Büchern  seiner  philosophischen  Schriften. 
Diese  Ciceronischen  Proömien  sind  nicht  die  ein- 
leitenden kurzen  Gespräche  der  redenden  Personei), 
sondern  die  voraufgehenden  einleitenden  Betrach- 
tungen des  Cicero  selber.  Ausserdem  befolgt 
er  auch  noch  einen  „mos  Aristotelius,"  welcher 
darin  bestand,  dass  nicht  in  stetem  Wechsel  des 
Gesprächs,  wie  beim  Plato,  sondern  durch  Einen 
Redenden,  der  eine  bestimmte  Philosophie  vertrat, 
die  Lehre  in  ununterbrochenem  Zusammen- 
hang vorgetragen  wurde,  mochte  dies  nun  (wie  in 
der  Schrift  de  Oratore  (ad  famil.  1,  9,  23)  durch 
einen  Anderen,  oder  wie  in  der  Schrift  de  finibus 
(ad  Att.  13,  19,  4)  in  der  Hauptsache  durch  den 
Verfasser  selbst  geschehen  (ut  penes  ipsum  sit  prin- 

cipatus). 

Der  „mos  Aristotelius"  beim  Cicero  hat  im  Grunde 
weder  mit  den  „Proömien,"  noch  mit  den  l^oore^tKols 
etwas  gemein,  und  würde  auch,  wenn  die  Proömien 
gänzlich  fehlten,  dennoch  in  Schriften  des  Cicero 
vorhanden  sein.  Was  aber  die  Proömien  betrifft, 
so  bezeichnet  Cicero  (ad  Att.  4,  16)  diese  bestimmt 
als  eineEigenthümlichkeit  der  „exoterischen  Schriften" 


60 

und  die  exoteiischcn  Schriften  (d.  finib.  5,  5.)  als 
„populäre"  im  Gegensatz  der  systematischen.  Dass 
diese  Schriften  Dialoge  gewesen,  ist  mit 
keiner  Sylbe  angedeutet.  Dagegen  stimmt  die 
Angabe  des  populären  Charakters  jener  angeb- 
lichen Bücher  (libri)  bei  Cicero  mit  dem  überein, 
was  wir  oben  als  den  Charakter  der  i^ooTs^tKol  Koyot 
bei  Aristoteles  erkannt  haben. 

'  Die  einzige  Frage,  welche  jene  Stellen  aus  den 
Schriften  Cicero's  uns  vorlegen,  ist  diese:  was  konnte 
den  Cicero  veranlassen,  die  xiyovs  s^oDTs^tKovs  ^ür 
Schriften  und  zwar  für  Schriften  mit  Proömien 
zu  halten?  Man  wird  vielleicht  antworten:  nichts 
Geringeres,  als  dass  er  sie  vor  Augen  hatte.  Allein 
das  wäre  eines  Theils  unter  den  obwaltenden  Um- 
ständen erst  zu  beweisen;  ist  aber  anderen  Theils 
gradezu  zu  leugnen.  Wer  erkannt  hat,  wie  wenig 
der  wahre  Aristoteles  in  den  angeblich  peripateti- 
sehen  Darlegungen  Cicero's  in  der  Schrift  de  finibus 
wieder  zu  finden  ist,  der  muss  M ad v ig  vollständig 
darin  beistimmen,  dass  Cicero  seine  ganze  Weisheit, 
die  er  hier  entwickelt,  aus  den  Vorträgen  und 
Schriften  des  Antiochus  geschöpft  habe.  Wir  können 
uns  nicht  enthalten,  aus  jenes  Gelehrten  excurs.  VII 
zu  Cic.  d.  fin.  Folgendes  zu  entlehnen:—  illud  ani- 
madvertendum  est,  tota  illa  in  libro  V.  „de  finibus" 
divisionis  scriptorum  Aristotelis  commemoratio  quam 
non  apte  et  quam  inutiliter  a  Cicerone  interponatur. 
Nam  quura  in  toto  libro  non  ex  veris  fontibus  hau- 
stam  ipsius  Aristotelis  rationem  traditurus  sit,  sed 
eam,  quam  Antiochus  ex  variis  disciplinis  conflatara 
tamquam  Peripateticam  et  Piatonicam  et  scriptis  et 
ore,  ipso  etiam  Cicerone  andiente,  tradiderat,  ex 
ejus  unius  libris  expositurus  (cf.  lib.  V.  §  14,  16,  75, 


r 


V 


61 

81.),  tamen  quod  hanc  doctrinam  pro  Aristotelis 
atque  etiam  pro  Polemonis  aut  habebat  aut  saltem 
accipere  cogebatur,  quom  orbem  praecipuarum  disci- 
plinarum  sententiarumque  his  libris  explere  vellet, 
nee  haberet,  unde  ipsam  veterum  doctrinam  in  cer- 
tam  formam  redactam  sumere  posset,  initium  ser- 
monis  et  libri  ejusmodi  quadam  Peripateticorum, 
maxume  Aristotelis  et  Theophrasti  laudatione  exor- 
navit,  qualem  quivis  sine  uUa  ejus  philosophiae 
accurata  cognitione  scribere  posset  qui  aliquid  de 
his  viris  ex  communi  literarum  Graecarum  notitia 
accepisset  &.     Vgl.  auch  ad  Attic.  13,  18,  §  5. 

Wenn  nun  durchaus  nicht  wahrscheinlich  ist, 
dass  Cicero  s.  g.  exoterische  Schriften  des  Ari- 
stoteles vor  Augen  gehabt,  deren  er  keine  einzige 
zu  nennen  weiss,  so  lohnt  es  sich  freilich  um  so 
mehr  zu  fragen,  wie  kommt  denn  er  oder  sein  Ge- 
währsmann dazu,  nicht:  jene  „Aövous"")  „Schriften" 
(libros)  zu  nennen,  das  haben  ja  auch  die  Gelehrten 
fast  zweier  Jahrtausende  gethan,  sondern  jene  an- 
geblichen exoterischen  Schriften  mit  Proömien  zu 
versehen  ?  Die  Antwort  lautet :  Cicero  hat  die  Glocken 
läuten  hören,  er  weiss  nur  nicht,  wo  sie  hängen. 

Es  wurde  schon  erwähnt  und  nachgewiesen,  dass 
Aristoteles  immer  unter  exoterische  Reden  solche 
versteht,  welche  minder  streng  philosophisch  sind, 
weshalb  ihnen  roc  koctoc  (f)tKo(To<piotv  oder  ro  IttJ  Trhsiov 
i^ocK^tßovv  oder  auch  stillschweigend  die  strenge 
Wissenschaft  entgegengesetzt  wird  und  meistens  auch 
eine  solche  mehr  streng  wissenschaftliche  Unter- 
suchung folgt.  Dadurch  nehmen  schon  von  selbst 
jene  populären  Mittheilungen  aus  den  exoterischen 
Reden  den  Charakter  von  Einleitungen,  Proömien, 
zu  der   mehr   wissenschaftlichen   Untersuchung   an. 


62 


63 


Nun  kommt  dazu,  dass  Aristoteles  grade  bei  der 
wichtigen  Einleitung  zu  seiner  Abhandlung  über 
den  besten  Staat  (Buch  7),  wo  er  gleich  im  Anfang 
sich  auf  die  f^ars^mov^  Koyovs  beruft,  diesen  einlei- 
tenden Theil  zweimal  als  ein  Proömion  bezeichnet 
7,  l  a.  E.  retZr»  Its)  rocrovrov  sTra  7r€<f>fotiÄte6<rfÄhcc  und 
7,  3  a.  E.  iTTs)  ie  TreCp^oifjito^roct  rec  vvv  slqv\fjLsvot'  Ent- 
weder hatte  nun  Cicero  selber  oder  sein  Gewährs- 
mann an  dieser  Stelle  von  den  exoterischen  Reden 
und  zugleich  von  Proömien  gelesen,  und  machte 
sich  daraus  um  so  eher  Proömien  der  exote- 
rischen Schriften  zurecht,  als  auch  sonst  beim 
Aristoteles  einleitende,  mehr  populär  gehaltene  Be- 
trachtungen als  proömische  bezeichnet  werden, 
z.  B.  in  der  Nikom.  Ethik  am  Ende  des  ersten 
Capitels,  in  der  Eudem.  Ethik  im  Anfang  des  7ten 
Capitels  des  ersten  Buchs,  in  der  Metaphysik  Buch  B. 
c.  1.  —  Alle  diese  proömischen  Einleitungen  passen 
nun  aber  gar  nicht  zu  Cicero*s  Erklärung ;  denn  sie 
linden  sich,  ausdrüklich  als  solche  bezeichnet,  grade 
in  den  systematischen  Schriften,  in  den  „Commen- 
tariis".  Es  scheint  die  Begriffsconfusion  in  jener 
Ciceronischen  Angabe  eben  so  vollständig,  als  nach 
seiner  ganzen  Art  erklärlich.  Er  möchte  gerne  neben 
allem  Andern  auch  ein  rechter  Aristoteliker  sein. 
Mit  Recht  sagt  Madvig:  perverse  autem,  si  modo 
Ciceroni  usu  noti  fuerunt  et  tractati  Aristotelis  libri 
ethi€i,  hie,  ubi  Antiochi  formam  doctrinae  pro  AA- 
stotelia  propositurus  est,  illorum  librorum  mentionem 
facit  et  genera  distinguit,  in  quibus  omnia  aliter  ex- 
plicantur.  Itaque  pannus  hie  ornatus  adven- 
titii  adsusus  est,  ut  quom  rem  omnem  ab 
Antiocho  haberet,  de  Aristotele  tarnen  ali- 
quid diceret. 


f 


X.    Tyrannion,  Andronikos,  Strabo, 
Plutarch,  Eustrat. 

Von  der  bekannten  Erzählung  von  der  Bibliothek 
des  Aristoteles  und  Theophrast  wusste  Cicero  offenbar 
nichts.     Hätte  er  diese  Erzählung  gekannt  und  auf 
die  Schriften   des  Aristoteles  bezogen,   wie  hätte 
er  sich  wohl  die  Gelegenheit  entgehen  lassen,   von 
seiner  Kenntniss  der  Originalschriften,  die  nun  erst 
und  fast  ihm  zuerst  eine  genaue  Kenntniss  der  Ari- 
stotelischen Philosophie  möglich  gemacht,  das  Nöthige 
mit  gewohnter  Selbstgefälligkeit  zu  erzählen.    Wäh- 
rend  aber  noch  Cicero  in  der  abgeschwächten  und 
verdorbenen    peripatetischen    Lehre    des    Antiochus 
gänzlich  befangen   blieb,   gewannen  die  den  Cicero 
wohl  lange  überlebenden  beiden  gelehrten  Griechen 
Tyrannion  und  Andronikos  Rhodios,  jener  der 
Lehrer  des  Strabo  und  dieser  ihm  wenigstens  be- 
kannt,  aus  den  durch  Sulla  nach  Rom  gebrachten 
Schriften  des  Aristoteles  allmälig  eine  ganz  andere 
und   bessere   Einsicht  in   die   Philosophie  desselben 
und  Strabo  konnte  mit  Recht  sagen,  dass  die  späteren 
Peripatetiker,  nachdem  jene  Schriften  herausgekom- 
men, besser  den  Aristoteles  verstanden  und  seine 
Philosophie    richtiger    gelehrt    hätten.      Andronikos 
Rhodios  oder  wer  der  Verfasser  der  Paraphrase  der 
Nikom.  Ethik  sein  mag,  wusste  nichts  von  exoteri- 
schen Schriften,  sondern  erklärte  die  f^oore^tKoi  für 
gelegentliche  mündliche  Aeusserungen*).   Er  dachte 
dabei  an  Aeusserungen  des  Aristoteles  selbst.     Das 
allein  Richtige  giebt  Eustrat  zu  Nik.  Ethik  6,  4.**) 

*)  Paraphr.  ad  Eth.  Nik.  1,  c.  13.  —  ntgi  ^vxn?  ^oCvtfv 

od    fAovov    Iv    evyyQccfifiaatyy     akkd    xkI    ano  Cj6/*aT0i  n^og  tovg 
itfTvyx^yoyrai  aqxovvttog  itnofisy  IV*«. 

**)   'E^MTiQtxovs    d"    ovofiaCtt    koyovs ,    ovs  i^(o  r^s    loyixijt 


64 


„exoterische  Reden  nennt  er  (Aristoteles),  was 
ausserhalb  der  wissenschaftlichen  Lehre  die  Menge 
spricht".  Dieselbe  Ansicht  musste  aber  auch  schon 
Plutarth  haben,  denn  sonst  hätte  er  in  der  bekannten 
Stelle  adv.  Colotem  h  rols  s^oore^tKol^  itochoyoi^  schrei- 
ben  müssen,  nicht,  wie  jetzt  dort  mit  Rücksicht  auf 
Metaph.  13,  1.  und  die  dort  erwähnten  nicht -philo- 
sophischen Gespräche  ganz  richtig  gesagt  ist:  iid 
tSv  €^(»>r8^iK£v  SicchGym»  Dass  jene  „Gespräche  ausser- 
halb der  Schule"  ebenso  gut  itocXoyoi  als  hiyot  ge- 
nannt werden  konnten,  versteht  sich  von  selbst 

Wir  schliessen  hier  die  Untersuchung.  Alle 
späteren  Nachrichten  von  exoterischen  Schriften 
des  Aristoteles  sind  nur  eine  Fortsetzung  des  erst 
beinahe  drei  Jahrhunderte  nach  Aristoteles  auftre- 
tenden Irrthums.  Wenn  es  schon  an  sich  einleuchtend 
ist,  dass  Gespräche  über  die  Seele,  über  die  Kunst, 
über  die  Weise  des  Regierens,  über  die  menschlichen 
Güter,  über  die  Zeit  und  die  Ideen  in  Griechenland 
und  besonders  in  Athen  von  der  Unterhaltung  der 
Gebildeten  nicht  ausgeschlossen  waren,  so  hoffen  wir 
durch  die  Betrachtung  der  einzelnen  Stellen,  in  denen 
Aristoteles  sich  auf  solche  Gespräche ,  in  vollkom- 
mener Uebereinstimmung  mit  seiner  Weise  zu  phi- 
losophiren  und  zu  lehren,  bezieht,  den  Beweis  geführt 
zu  haben,  dass  durchaus  kein  gültiger  Grund  vor- 
liegt, jene  s^oore^iKove  Koyovs  von  andern  Gesprächen 
zu  verstehen,  als  denen  in  der  Unterhaltung  der 
gebildeten  Griechen;  und  dass  somit  alles  hinfällig 
ist,  was  bisher  über  das  frühere  Vorhandensein  s.  g. 
exoterischer  Schriften  des  Aristoteles  gelehrt  und 
behauptet  worden. 


Druck  von  C.  F.  Mohr  in  Kiel. 


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